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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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noch nicht geregelt, also scheiß drauf. »Verzeih mir«, sagte Alex zu ihr. »Ich wollte dich nicht so anfahren. Du kannst überhaupt nichts dafür.« Er räusperte sich und wollte noch etwas sagen, schüttelte dann aber bloß den Kopf und wiederholte: »Verzeih mir.«
    Er küßte sie sehr sanft. Als sich die beiden voneinander lösten, sah Cassie zu Alex auf, als habe er eben die Sonne erfunden.
    Cassie warf Will einen kurzen Blick zu, während sie von Alex aus dem Restaurant geführt wurde, riskierte aber kein Lächeln. Will verstand. Er folgte ihnen zur Eingangstür hinaus und beobachtete, wie sich den beiden auf magische Weise ein Pfad durch die Menge öffnete. Er hörte, wie Alex sich von einigen Leuten fröhlich verabschiedete, als sei überhaupt nichts passiert.
    Du handelst dir keinen Ärger ein.
    Cassie schaute durch das hintere Seitenfenster zu ihm herüber, während der Range Rover abfuhr; davon war Will fest überzeugt. Er hatte sie ein zweites Mal gehen lassen, aber er wußte, daß er noch eine Gelegenheit bekommen würde. Seine Großmutter hatte ihn gelehrt, daß nichts zufällig geschah. Es gibt Millionen Menschen auf der Welt, hatte sie ihm erklärt, und die Geister werden dafür sorgen, daß du den meisten nie zu begegnen brauchst. Aber es gibt einen oder zwei darunter, mit denen dein Schicksal verknüpft ist, und die Geister werden dafür sorgen, daß sich eure Wege so lange kreuzen, bis sie schließlich miteinander verbunden sind und ihr alles richtig macht.
    Ramon kam nach draußen und blieb neben ihm stehen. »Unglaublich«, sagte er. »Wenn irgendein armes Arschloch sich so aufführt, wird er eingebuchtet und nur gegen Kaution rausgelassen. Alex Rivers säuft sich einen an, und die ganze Welt dreht sich rückwärts, nur für ihn.«
    Will sah seinen Partner an. »Wie spät ist es?«
    »Gleich elf.«
    Noch eine Stunde bis Dienstende. »Deck mich«, sagte Will, und ohne jede weitere Erklärung lief er über den Sunset davon. Er lief mehrere Meilen, bis er St. Sebastian erreicht hatte. Die schweren Türen waren verschlossen, aber er ging um die Kirche herum in den vertrauten Friedhof. Diesmal betete er nicht zu dem Gott der Christen, der viel zu langsam handelte, sondern zu den Geistern seiner Großmutter. In der Ferne hörte er den Donner. Bitte, flüsterte er. Helft ihr.

8
     
    »Wie konntest du mir das nur antun?«
    Die Frauenstimme kreischte aus dem Hörer, so daß Cassie zusammenzuckte. Sie ließ den Hörer in die Kissen fallen und dämpfte dadurch das Geschrei ein bißchen; allerdings war es noch laut genug, daß Cassie sich den Kopf darüber zu zerbrechen begann, was sie eigentlich getan hatte.
    Ihre Augen fühlten sich an, als hätte jemand Sand hineingerubbelt. Sie rieb sich die Lider, aber das machte alles nur noch schlimmer. Alex hatte sich zwar im Le Dome entschuldigt, hatte aber nicht mehr mit ihr gesprochen, seit sie gestern abend ins Apartment gekommen waren. Das hatte er sehr deutlich gemacht: Er hatte sich schweigend ausgezogen und sich zum Duschen im Bad eingeschlossen. Als er schließlich ins Bett schlüpfte, hatte Cassie schon das Licht ausgeschaltet, sich auf ihrer Seite zusammengerollt und hätte am liebsten geweint. Aber irgendwann, mitten in der Nacht, hatte Alex die Hand nach ihr ausgestreckt. Sein Unterbewußtsein hatte getan, was sein Bewußtsein ihm verwehrte. Im Schlaf hatte er sie an sich gezogen, in eine Umarmung, die von tiefem Schmerz zeugte.
    »Michaela.« Alex’ Hand griff über Cassies Schulter und tastete nach dem Telefon. »Michaela, halt den Mund.«
    Cassie rollte sich zu Alex herum, der allmählich wacher wurde. Er preßte sich den Hörer ans Ohr, und sein Mund war zu einer schmalen Linie gefroren, die ein dünner, blutroter Schnitt bis zum Kinn hinunter teilte. Unter seinem rechten Auge hatte sich ein blauer Fleck in Form eines winzigen Pinguins gebildet, und über seine Rippen zog sich eine Kette schwarzblauer Striemen. Erstaunlicherweise lächelte er. »Um ehrlich zu sein«, sagte er ins Telefon, »das hat mich einen feuchten Dreck interessiert.«
    Er legte sich auf die Seite, schloß die Augen und schüttelte den Kopf. »Natürlich«, brummte er. »Du weißt doch, daß ich alles tue, was du willst.« Mit einem boshaften Grinsen ließ er den Hörer wieder ins Kissen fallen und streckte den Arm nach Cassie aus. Seine Hand strich über ihre Brust. Cassie starrte das Telefon an. Sie hörte die Frau in hohen, schrillen Tönen schnattern, die an ein Xylophon

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