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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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erinnerten oder vielleicht an einen Sittich.
    Alex hatte mit dem vergangenen Abend abgeschlossen wie mit einem ausgelesenen Buch. Die Rauferei im Le Dome, die Vorwürfe danach, sein abweisendes Verhalten im Schlafzimmer - all das hatte er entweder vergessen oder hielt es für nebensächlich genug, um darüber hinwegzugehen. Das, ging Cassie durch den Kopf, war eine Gabe. Man stelle sich vor: eine Welt ohne Groll. Eine Welt ohne Schuld. Eine Welt, in der man die Konsequenzen seiner Handlungen nicht tragen mußte.
    Die halbe Nacht hatte sie sich den Kopf darüber zerbrochen, weshalb Alex eigentlich wütend auf sie war; jetzt war sie gern bereit, ganz von vorne anzufangen. Sie tastete nach Alex und streichelte seine Seite und seine Hüfte.
    Auf einmal rollte er sich von ihr weg, nahm das Telefon hoch und gab Cassie ein Zeichen, ihm einen Stift zu holen. Sie kramte in ihrem Nachttisch und förderte einen abgekauten Bleistift und eine Quittung über etwas zutage, das 2.1.49 Dollar gekostet hatte. Alex drehte die Quittung um und begann, auf die Rückseite zu schreiben. »Mhm. Ja. Ich werde da sein. Ja, du auch.«
    Er schleuderte den Stift durchs Zimmer und seufzte so tief, daß der kleine Zettel an die Bettkante flatterte. Cassie setzte sich auf und schnappte sich den Zettel. »L. A. County Hospital?« las sie. »Zwölf Uhr fünfzehn, siebter Stock?«
    Alex legte sich die Hand auf die Augen und rieb sich dann übers Gesicht. »Offenbar hat Liz Smith ihre Kolumne heute mit einem Bericht über meine… Meinungsverschiedenheit mit Nick LaRue gestern abend aufgemacht.« Er setzte sich auf, ging nackt ans Fenster und stellte die Jalousie waagrecht, so daß die ersten rosa Sonnenstrahlen in parallelen Streifen über seinen Rücken fielen. »Michaela hat einen Anfall gekriegt, weil man einen Monat vor der Oscarverleihung auf gar keinen Fall eine schlechte Presse hat. Sie versucht, den schlechten Eindruck wieder wettzumachen, indem sie mir ein bißchen positive PR verschafft. Weiß der Himmel, wie sie das um sechs Uhr früh angestellt hat, aber sie hat eine Art Fototermin für mich mit den Leukämiepatienten in der Kinderabteilung arrangiert.«
    Alex umrundete das Bett und setzte sich neben Cassie. Vorsichtig betastete sie den blauen Fleck auf seinem Gesicht. »Tut’s noch weh?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nicht so weh, wie dich beim Mittagessen allein zu lassen.« Er senkte den Kopf und malte mit dem Finger Kreise auf die Decke über ihrem Schenkel. »Cassie«, sagte er, »ich möchte mich noch mal entschuldigen. Ich wollte nicht – weißt du, ich bin nicht -« Er ballte die Hand zur Faust. »Scheiße, manchmal explodiere ich einfach.«
    Cassie nahm sein Gesicht in die Hände und küßte ihn behutsam auf den Mund, um ihm nicht weh zu tun. »Ich weiß«, antwortete sie. Ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle und setzte sich darin fest, und erst nach einigen Sekunden merkte sie, daß das nicht Liebe, sondern pure Erleichterung war.
    Als jemand an die Tür klopfte, zog Alex Boxershorts an. Er öffnete einer kleinen, stämmigen Frau, die Cassie sehr vertraut vorkam, auch wenn das vielleicht nur an ihrem Gesicht lag: Sie hatte dünnes braunes Haar, das sie zu einem Knoten frisiert hatte, Augen von der Farbe alten Holzes und ein Lächeln, das so traurig war wie der Regen. Sie sah aus wie eine Großmutter aus dem Bilderbuch.
    »Ich hab’ das Telefon gehört, Mr. Rivers, und da hab’ ich gedacht, Sie müssen vielleicht früh raus heute, sif« Energisch rückte sie die Lampe auf Alex’ Nachttisch beiseite und stellte das Tablett darauf ab, das sie hereingetragen hatte. Die L. A. Times, Kaffee, Apfelmuffins und etwas mit Puderzucker, das einfach himmlisch duftete.
    Mrs. Alvarez. Der Name hallte in Cassies Kopf wider, bis sie ihn laut aussprach. »Mrs. Alvarez?« Sie setzte sich so abrupt auf, daß ihr die Decke in den Schoß rutschte. Das war Mrs. Alvarez, die sich um das Apartment kümmerte, wenn sie im Haus in Bel-Air lebten. Die in ihrem Zimmer mehr Bilder von Jesus als von ihren eigenen drei Söhnen hatte. Die Cassie beigebracht hatte, wie man Flan macht, und die einmal, als Alex bei irgendwelchen Dreharbeiten war, an diesem Bett gesessen und Cassie in den Armen gehalten hatte, bis ein Alptraum zum Fenster hinausgeschlüpft war. »Mrs. Alvarez«, wiederholte sie atemlos und unglaublich stolz.
    Alex lachte, setzte sich neben Cassie und zog die Decke wieder über ihre Brust. »Meinen Glückwunsch«, sagte Alex zu Mrs. Alvarez. »Mit

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