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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Seiten über den Hals.
    »Wir sehen uns um drei«, erwiderte Cassie, schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln und schlüpfte an ihm vorbei, ehe er weitere Fragen stellen konnte.
    Nervös wie ein Teenager sank sie in den Rücksitz des Range Rover. Sie schloß die Augen, vergrub das Gesicht in den viel zu langen Armen von Alex’ Sweatshirt und roch Malibu, Sandelholz und ihn.
    Das Westwood Community Center war eigentlich nur eine Begegnungsstätte für Senioren, die beim morgendlichen Alex-Rivers-Filmfestival auch den Löwenanteil unter den Zuschauern stellten. Geschützt durch die Anonymität der Außenseiterin, schlängelte sich Cassie durch die Grüppchen älterer Damen in der Lobby. »Wie Gary Cooper«, meinte eine Frau. »Er kann einfach alles spielen.«
    Sie lächelte, als ihr aufging, daß sie etwas erlebt hatte, was niemand sonst hier erlebt hatte. Am liebsten hätte sie sich breitbeinig auf den schwarzweißen Fliesen aufgebaut und geschrieen: Ich bin Alex Rivers’ Frau. Ich lebe mit ihm. Ich frühstücke mit ihm. Ich kenne ihn wirklich.
    Als das Publikum in den Saal eingelassen wurde, trat Cassie zurück und zählte, wie viele Fans Alex hier in Westwood hatte. Sie stellte sich vor, wie sie sich später mit Alex amüsieren würde, wenn sie ihm von der Dame mit dem riesigen Haaraufbau erzählte, die ein signiertes Großfoto von ihm bei sich trug und es in den Sitz neben ihrem klemmte, oder von dem Alten, der an der Kasse brüllte: »Alex wie?«
    Sie setzte sich in die letzte Reihe, wo sie alle anderen beobachten und belauschen konnte. Desperado, der Western, dem alle in Hollywood einen rauschenden Mißerfolg vorhergesagt hatten, wurde zuerst gezeigt. Cassie hatte Alex noch nicht gekannt, als er den Film gedreht hatte; und im Grunde war es auch nicht Alex’ Film. Die Hauptdarstellerin war der Star des Films - Ava Milan. Sie spielte eine Frau, die als Kind von einer Gruppe umherziehender Indianer gefangengenommen worden und bei dem Nomadenstamm aufgewachsen war, dort einen Mann gefunden hatte und ein glückliches Leben führte. Alex spielte ihren Bruder, der mit angesehen hatte, wie seine ganze Familie niedergemetzelt wurde, und deshalb ewige Rache geschworen hatte. Der ganze Film bewegte sich auf den Höhepunkt zu, bei dem Alex seine Schwester in dem Indianerdorf aufstöberte und in einem Anfall wild um sich schoß, wobei er die meisten Indianer und Avas Ehemann tötete. In einem Monolog, bei dem einem das Blut in den Adern gefror, erklärte Ava ihrem Bruder, daß das Leben, um das er sie eben gebracht hatte, besser war als alles, was sich eine weiße Frau um 1890 erhoffen konnte. Danach schlitzte sie sich vor seinen Augen die Kehle auf.
    Die Kritiker waren außer Rand und Band gewesen. Western waren damals nicht »in« gewesen, dafür aber die amerikanischen Ureinwohner. Desperado war der erste Film, in dem sie als Individuen, nicht als gesichtslose Feinde gezeigt wurden. Alex Rivers, vierundzwanzig, trat aus der Masse namenloser Jungschauspieler heraus und wurde zum Star, und sein »Abraham Burrows« wurde der erste von vielen komplexen, mit Makeln behafteten Helden in seiner Karriere.
    Cassie ließ sich tief in ihren Sitz sinken, als die Namen über den roten Staub der Westernszenerie rollten. ALEX RIVERS. Ein Schauer überlief sie von den Schultern bis in die Fingerspitzen. Als Alex zum ersten Mal auf der Leinwand zu sehen war, stockte ihr der Atem. Er sah so jung aus, und seine Augen schienen heller als jetzt zu sein. Er stand breitbeinig da, die Fäuste dicht am Körper, und stieß einen Schrei aus, der die roten Vorhänge an den Wänden zum Beben brachte. Nicht einmal ein Wort, nur ein Laut, nach dem niemand mehr seine Präsenz leugnen konnte.
    Schlagartig wurde ihr klar, wie sehr sich ihre Wahrnehmung in bezug auf Alex in nur wenigen Tagen geändert hatte. Als er sie auf dem Polizeirevier abgeholt hatte, war er ihr vorgekommen wie ein Leinwandheld: überlebensgroß und unnahbar. Jetzt wußte sie es besser. Cassie lächelte. Wahrscheinlich würde sie die Leute in diesem Saal nur schwer davon überzeugen können, aber Alex Rivers war ein Mensch wie jeder andere.
    Will wartete auf eine Möbellieferung. Er war es leid, seine Matratze als Eßzimmer, Wohnzimmer und Allzweck-Erholungsfläche zu benutzen. Er hatte die Sachen im erstbesten Laden gekauft, einem kleinen Geschäft mit anständigen Preisen, wo er in Raten bezahlen konnte.
    Der Möbelwagen kam genau wie angekündigt um zehn Uhr. Zwei große Kerle

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