Auf den zweiten Blick
einem einzigen Kuchen haben Sie geschafft, was ich in zwei Tagen nicht fertiggekriegt habe.«
Mrs. Alvarez wurde rot. Die Farbe breitete sich wie ein Fleck von ihrem hohen Kragen nach oben aus. »No es verdad«, sagte sie. »Mrs. Rivers, Sie wollen, daß ich Ihnen helfe packen heute?«
Cassie sah Alex an. Sie überlegte, woher Mrs. Alvarez wohl gewußt hatte, daß sie heute morgen zurückkommen sollte. Sie selbst hatte die Reise nach Schottland völlig vergessen. »Es liegt an dir«, sagte Alex. »Ich könnte mir allerdings vorstellen, daß du lieber etwas Festeres mitnehmen möchtest als die Sachen, die wir hier haben. Ich kann John für drei Uhr herbestellen, dann fahren wir zum Haus. Der Flug geht erst um neun Uhr abends, wir nehmen den Nachtflug.«
Mrs. Alvarez runzelte die Stirn, während sie eine Serviette über Cassies Schoß breitete, die so weiß war, daß Cassie nicht erkennen konnte, wo sie aufhörte und die Decke begann. Dann schenkte sie Kaffee in zwei Tassen und goß Sahne in eine davon, die sie Alex reichte. »Sie rufen mich einfach, wenn Sie es sich anders überlegen«, sagte sie. Sie schenkte Cassie noch ein Lächeln und zog sich dann zurück.
Alex fütterte sie mit einem Muffin und küßte sie fest auf die Lippen. »Die verlorene Erinnerung kehrt also zurück«, stellte er fest.
»In sporadischen Lichtblitzen«, gab Cassie zu. »Wer weiß? Vielleicht finde ich ja sogar allein ins Schlafzimmer, bis wir im großen Haus sind.«
Alex überflog die Titelseite der Zeitung und reichte sie ihr. »Ich gehe an den Strand joggen«, sagte er, steckte die Hand unter die Decke und suchte ihr Bein. »Du darfst im Bett bleiben, bis ich wieder da bin.«
Sie tat so, als würde sie die politischen Artikel lesen, während Alex seine Dehnübungen machte, aber sowie er die Tür hinter sich geschlossen hatte, schlug sie Liz Smith’ Kolumne auf.
TABU-BUH lautete der Untertitel, Alex Rivers und Nick LaRue, die in ihrem letzten Film ein unzertrennliches Paar geben, führten den Gästen im Le Dome gestern abend vor, daß die Freundschaft auf der Leinwand nur gespielt ist. Einer zuverlässigen Quelle zufolge kam es zwischen den beiden wegen Rivers’ Frau Cassandra zum Schlagabtausch. Wird man sich am Abend der Oscarverleihung wohl eher an Rivers’ gefeierten Auftritt in DIE GESCHICHTE SEINES LEBENS erinnern oder an seinen berüchtigten rechten Haken?
Zitternd blätterte Cassie weiter. Sie schloß die Augen, aber die Wut, die Alex gestern verzehrt hatte, wollte ihr nicht aus dem Kopf.
Nick LaRue hatte nichts gesagt, was den Kampf gerechtfertigt hätte. Cassie wußte das, und mittlerweile meinte sie auch Alex zu kennen, ein wenig jedenfalls. Jeder andere hätte sich wahrscheinlich mit LaRue gestritten oder leise gedroht: Alex dagegen war einfach explodiert. Etwas in ihm hatte so geschwelt, daß ein winziger Funke genügt hatte, um einen lodernden Brand auszulösen. Cassie hatte keine Schuld daran – das hatte er selbst gesagt, und heute morgen schien er sich in ihrer Gesellschaft wohlgefühlt zu haben. Vielleicht war es der Druck vor der Oscarverleihung. Vielleicht war er zu lange weg von Macbeth.
Sie schaute in die Zeitung und stellte fest, daß sie bis zu den Kinoanzeigen weitergeblättert hatte. Sie suchte die Anzeigen nach Werbefotos für TABU ab, kleinen Reproduktionen der riesigen Tafel, die sie an dem Abend gesehen hatte, an dem Will sie gefunden hatte. Sie sah, daß das Westwood Community Center ein eintägiges Alex-Rivers-Filmfestival veranstaltete, als Teil einer Hommage an die diesjährigen Oscaranwärter.
Lächelnd ging Cassie mit dem Zeigefinger die Anzeigen durch. Drei Filme mit Alex, Beginn um neun Uhr. Einer davon war Antonius und Kleopatra, die Shakespeare-Verfilmung, mit der er seinen Ruf gefestigt hatte; einer der ersten Filme, die er nach ihrer Heirat gedreht hatte. Außerdem gab es Desperado, einen revisionistischen Western und Alex’ ersten Film, und schließlich Die Geschichte seines Lebens, das Familiendrama, das Alex drei Oscarnominierungen eingebracht hatte.
Cassie warf einen Blick auf die Uhr. Sie hatte zwei Stunden, um nach Westwood zu kommen. Sie sprang aus dem Bett, duschte kurz und zog dann Jeans und das Sweatshirt an, das Alex gestern bei ihrem Spaziergang am Strand getragen hatte. Sie fand John in der Küche bei Mrs. Alvarez und fragte ihn, ob er sie fahren könne. In der Tür stießen sie praktisch mit Alex zusammen. »Wo willst du hin?« keuchte er. Schweiß rann ihm an beiden
Weitere Kostenlose Bücher