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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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geschlungen, und das 1993. Er behauptete, es würde ihm Glück bringen, und als seine Tochter sich das Bündel einen Tag ausgeliehen hatte, weil sie es in der Schule vorzeigen wollte, war er prompt von einem Junkie in den Arm geschossen worden.
    Es gab mehr Leute im Reservat, Leute seines Alters, die noch ein Bündel hatten. Niemand fand das komisch. Es gab merkwürdigere Dinge, wie Will zugeben mußte.
    Er ging in die Küche und suchte sich einen Hammer und einen Bilderhaken. Kurz saß er mit dem Medizinbündel da, rieb es über seine Wange und spürte das weiche, geschichtsträchtige Leder. Es war nicht sein Medizinbündel, deshalb würde es ihm nichts nützen, aber es würde ihm auch nicht schaden.
    Will versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, wo Cassie es damals aufgehängt hatte, und dann klemmte er sich den Beutel zwischen die Zähne und stellte sich auf die Couch. Langsam strich er mit den Händen über die glatte weiße Wand, in der Hoffnung, etwas von der Wärme zu spüren, die ihre Hände hinterlassen hatten.
    Wie alle im Westwood Community Center weinte auch Cassie am Ende von Die Geschichte seines Lebens. Es war leicht nachzuvollziehen, warum Alex damit erstmals für einen Oscar als bester Regisseur nominiert worden war – obwohl die Nominierung als bester Schauspieler einige Kontroversen darüber ausgelöst hatte, warum man Alex ausgewählt hatte und nicht Jack Green, den Altstar, der seinen Vater spielte. Jack war als bester Nebendarsteller nominiert worden; es hätte ebensogut umgekehrt sein können. Die Buchmacher in L. A. waren der Auffassung, daß Alex in seinen beiden Sparten der Favorit war, Jack in seiner Kategorie ein todsicherer Tip, und daß der Film wahrscheinlich zum besten Film gekürt würde.
    Viele der älteren Zuschauer schlurften nach dem Abspann hinaus. Sie waren vor allem wegen des Films gekommen, um den sich die ganzen Spekulationen rankten. Cassie dagegen hätte man nicht einmal mit Gewalt aus dem Saal bekommen. Inzwischen war ihr klar, daß sie vor allem gekommen war, um Antonius und Kleopatra zu sehen, jenes Epos, das Alex nach ihrer Heirat gedreht hatte.
    Der Vorspann rollte über die Leinwand, untermalt von traurigen Sitarklängen. Cassie löste ihren Pferdeschwanz und fächerte ihr Haar über die Rückenlehne. Sie schloß die Augen, kurz bevor Alex seinen ersten Satz als Antonius sprach, und zwang sich dazu, sich zu erinnern.
    Es war der erste Hinweis darauf, daß Alex nicht der Mann war, den sie geheiratet hatte. Ein Manuskript fest im Arm, war er aus Herb Silvers Büro gekommen. Sie hatte in ihrem Privatlabor beim Haus gesessen und sich die Route für ihre bevorstehende Reise nach Tansania angesehen, als Alex zur Tür hereingeplatzt kam und sich vor ihr aufpflanzte. »Für diese Rolle«, sagte er, »bin ich geschaffen.«
    Später hatte sich Cassie seine Worte durch den Kopf gehen lassen: Es wäre viel vernünftiger gewesen zu sagen, diese Rolle ist für mich geschaffen, statt umgekehrt. Aber genau wie Antonius war Alex, sowie er das Drehbuch in die Hand bekommen hatte, größenwahnsinnig geworden.
    Der Text prägte sich ihm leicht ein, fiel von seinen Lippen, als brauche er ihn überhaupt nicht zu lernen. Cassie wußte zwar, daß Alex ein fotografisches Gedächtnis besaß, aber trotzdem hatte sie ihn kein einziges Mal mit dem aufgeschlagenen Drehbuch gesehen. »Ich bin Antonius«, erklärte er ihr schlicht, und ihr blieb keine Wahl, als ihm zu glauben.
    Er war nicht der Favorit für die Rolle. Man hatte ihn nicht einmal dafür in Betracht gezogen, ehe er Herb gebeten hatte, seinen Namen ins Spiel zu bringen. Cassie wußte, daß er die Entscheidung kaum erwarten konnte. Also scheuchte sie an dem Morgen, an dem er zum Casting ging, den Koch aus der Küche und machte ihm selbst ein Omelett. Sie füllte es mit Paprikaschoten, Schinken und Frühlingszwiebeln, Cheddar und einer Prise Chili. »Dein Lieblingsomelett«, verkündete sie schwungvoll. Sie stellte den Teller vor ihm auf den Tisch. »Und viel Glück.«
    Normalerweise hätte Alex sie angesehen, hätte sie vielleicht um die Hüften gepackt und sie auf seinen Schoß gezogen, um sie zu küssen. Er hätte ihr die Hälfte angeboten und sie mit seiner Gabel gefüttert. Aber an jenem Morgen wurde sein Blick düster, als habe er etwas verschluckt, was ihn nun von innen verbrannte. Er fegte den Teller mit dem Arm vom Tisch und schaute nicht einmal hin, als das Porzellan auf dem blassen, geäderten Marmorboden zerschellte. »Bring

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