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Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Titel: Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Gleichgewicht. Im Fallen bekam er meinen Oberarm zu packen.
    Ich hörte Mathias meinen Namen brüllen, aber da stürzten wir auch schon hinab auf die Gleise.
    Mir schoss durch den Kopf, dass das genau eine von diesen Situationen ist, in denen das Leben in bunten Bildern an einem vorbeiziehen soll. Meins tat das allerdings nicht, es hatte gar keine Zeit dafür. Das Letzte, was ich sah, waren die Lichter der U-Bahn, direkt vor meinem Gesicht.

Stets findet Überraschung statt, da, wo man’s nicht erwartet hat.
    Wilhelm Busch
    Wie gesagt, mein Leben zog nicht an mir vorbei, nicht mal ein winziges Detail davon. Und von wegen Tunnel, strahlendes Licht und sphärische Musik! Von wegen weise letzte Gedanken.
    Es war einfach nur dunkel geworden. Und das Einzige, was ich gedacht hatte, war: »Ich will noch nicht sterben!«
    Tja.
    Mir tat absolut nichts weh, was dann wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutete, dass ich tot war. Und das war irgendwie total neu. Ungewohnt.
    Ich wagte nicht, die Augen zu öffnen. Ich wagte nicht mal zu atmen.
    »Ja, dasch ist ein Ausblick, was?«, hörte ich eine ältere Frauenstimme sagen. »Dafür lohnt schich der weite Weg nach oben doch, oder?«
    Okay. Ich war also im Himmel und Gott war eine nuschelnde Frau. Ihre Stimme kam mir entfernt bekannt vor. Und atmen musste man offensichtlich doch, wenn man tot war. Vorsichtig öffnete ich ein Auge. Der Himmel war strahlend weiß. Und hatte eine eher unschöne Riffelstruktur, Rauputz auf Nut- und Feder-Rigipsplatten.
    »Ich hab auch schon mal unten im zweiten Stock gelegen, mit so einer Unterleibssache, aber hier oben gefällt es mir viel besser«, sagte die Frauenstimme. »Also, wenn das mit dem Oberschenkelhalsbruch nicht wäre. Ach, gucken Sie mal, jetzt ist sie wach geworden.«
    Mehr noch, ich hatte mich ruckartig aufgesetzt. Ich war gar nicht tot! Ich lag in einem Krankenhausbett, und Gott war keine Frau, sondern …
    »Frau Grafinski!«, schrie ich. Oh mein Gott (haha), das war wirklich dieselbe reizende alte Dame, die vor ein paar Jahren schon mal meine Bettnachbarin gewesen war, als ich mit Blinddarmentzündung im Krankenhaus gelegen hatte. Sie hatte noch genau die gleichen wuscheligen weißen Löckchen, und ihr Gebiss schien immer noch lose in ihrem Mund zu sitzen. Und offenbar hatte sie sich schon wieder das Bein gebrochen, die Arme.
    »Baronski«, verbesserte sie und lächelte mich an. »Na, Sie haben aber tief geschlafen, Kindchen, Ihre Schwester hat es schon mit der Angst bekommen. Aber ich habe ihr erklärt, dass Sie Schlaf nachholen müssen, weil ich schreckliche alte Frau nachts so einen Lärm mache und die Krankenschwester Ihnen diese feinen rosa Pillen gegeben hat, mit denen man auch tagsüber schlafen kann.«
    Genau wie damals! Ich erinnerte mich, als wenn es gestern gewesen wäre: Frau Baronski hatte nicht nur elend laut geschnarcht, sondern auch gefurzt wie ein Waldesel. Ich drehte mich zum Fenster um, wo Eva stand und mir zublinzelte.
    Zwei Dinge fielen mir gleichzeitig auf. Erstens: Eva hatte sich wieder einen Pony schneiden lassen. Zweitens: Das Krankenzimmer glich dem, in dem ich und Frau Baronski damals gelegen hatten, aufs Haar, inklusive der defekten Jalousie, die schief auf der linken Fensterseite herunterhing. Verrückt.
    »Oh, ich hoffe, ich hab euch keinen zu großen Schrecken eingejagt«, sagte ich zu Eva. »Ab dem Moment, wo ich gefallen bin, weiß ich leider nichts mehr. Meine Güte! Das grenzt an ein Wunder, oder? Ich hab wirklich geglaubt … Was ist denn mit dem Mann? Ist er auch unverletzt?«
    »Du hast von einem Mann geträumt, Herzchen? Hast du ihn gefragt, ob er dich zur Hochzeit begleitet? Wie es aussieht, musst du nämlich sonst neben Cousin Bertram sitzen.« Eva grinste mich fröhlich unter ihren Ponyfransen an. Davon abgesehen sah sie verdammt gut aus, kein bisschen übernächtigt, und die Falte auf ihrer Stirn, die sie selber »Müttergenesungswerkfurche« nannte, war auch so gut wie nicht mehr vorhanden. Sie würde doch wohl nicht …
    »Botox! Ich fasse es nicht«, sagte ich. »Und Strähnchen wolltest du nie mehr machen, weil die Haare davon nur kaputtgehen … Und was für eine Hochzeit?«
    Eva warf mir einen verdutzten Blick zu. »Herzchen, das müssen ja coole Pillen gewesen sein, die du da bekommen hast.«
    »Warum hast du mir …« Ich verstummte, denn ich hatte die Handtasche entdeckt, die über der Stuhllehne neben dem Bett hing und genauso aussah wie die, die mir

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