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Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Titel: Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Stimme kam von einer Gruppe von Männern in Lederhosen, die ein Bierfässchen hinter sich herzogen und T-Shirts mit der Aufschrift »Sexgott verlässt den Olymp« trugen. (Letzteres konnte ich auf die Entfernung nicht wirklich erkennen, war aber trotzdem sicher, weil Männer auf sinnentleerten Junggesellenabschieden immer T-Shirts mit solchen Aufschriften trugen.)
     
    Wer sich selbst alles zutraut, wird andere übertreffen.
Chinesische Weisheit
     
    »Kati! Warte!« Ich fragte mich noch, woher eine der Lederhosen meinen Namen kannte und warum plötzlich ein paar der Schmetterlinge in meinem Magen wiederbelebt zu flattern begannen, da sah ich ihn auch schon: Mathias, der zwischen den selbst ernannten Sexgöttern auftauchte, dem zukünftigen Bräutigam rücksichtslos den Ellenbogen in den Magen rammte, um dann aus meinem Blickfeld zu verschwinden und nur Sekunden später auf meiner Seite des Bahnsteigs die Rolltreppe runterzurennen. Die Geigen, reanimiert wie die Schmetterlinge, intonierten dazu »Oh what a man«, und dann stand er völlig außer Atem vor mir, mitsamt der samtblauen Augen und der Lachfältchen. Genauso, wie ich es mir erträumt hatte. Nur besser.
    Und er lächelte, als hätte er noch nie etwas so Schönes gesehen wie mich.
    Ich hatte ungefähr tausend Fragen, zum Beispiel, warum er jetzt erst kam, wieso er nicht angerufen hatte, wie er mich hier in der U-Bahn entdeckt hatte, aber keine davon kam mir über die Lippen.
    Stattdessen starrte ich ihn nur an, bis er mich ein Stück von der Bahnsteigkante wegzog und mich fragte: »Warum hast du es dir anders überlegt?«
    Weil ich es einfach nicht mehr ausgehalten habe. Weil ich nicht anders konnte. Weil ich offenbar tief in meinem Innern eine gewissenlose, ehebrecherische Schlampe bin. Weil du so wahnsinnig schöne Augen hast …
    »Ich habe keine Ahnung.« Ich musste mir Mühe geben, meine Stimme unter Kontrolle zu halten. »Mir ist … so was noch nie passiert. Und ich bin sehr, sehr … ratlos.«
    »Da bist du nicht die Einzige.«
    Ich versuchte mich zu konzentrieren. »Was ist mit deinem Zug …?«
    Er fiel mir ins Wort. »Vergiss den verdammten Zug. Weißt du, was verrückt ist?«
    Ja, allerdings.
    »Meine Schwester Tine verliebt sich ständig in verheiratete Männer, und wenig später müssen wir dann ihr gebrochenes Herz und ihr Leben wieder kitten. Jedes Mal sage ich ihr, wie dämlich sie ist, weil sie sich in diese Männer verliebt, obwohl sie doch genau weiß, dass es nur Komplikationen gibt.«
    »Die Schwester, die dich in den Schrank gesperrt hat, oder die, die in New York lebt?«
    »Die Schrankschwester. Aber das ist ja auch egal. Was ich sagen will …« Er holte tief Luft und sah mich ernst an. »Ich weiß jetzt, dass sie gar nichts dafür kann.«
    Und dann beugte er sich vor und küsste mich auf den Mund.
    Wie gesagt, ich war schon immer empfindlich, was Küsse betraf. Und der Ort war auch wirklich nicht gerade passend, weil Kölner U-Bahnhöfe nun mal nichts Romantisches haben, das kann man drehen und wenden, wie man will, aber das hier – das fühlte sich einfach nur richtig an. Für einen Moment schien meine ins Chaos gefallene Welt wieder zurechtgerückt.
    »Scheiße«, flüsterte ich, als der Moment vorbei war.
    Mathias lachte und streichelte über meine Haare. »Ja, finde ich auch. Scheiße, bin ich verliebt.«
    Und dann küssten wir uns noch einmal und meine tausend Schmetterlinge flatterten, was das Zeug hielt, während ich darauf wartete, dass das schlechte Gewissen sich über mich stülpen würde wie ein riesiger schwarzer Hut, aber aus irgendeinem Grund passierte das nicht. Ich fühlte mich wunderbar. Wunderbar lebendig. Wunderbar unvernünftig. Und wunderbar ratlos.
    »Tomaten auf den Augen!« Da war er wieder, der predigende Obdachlose. Er taumelte direkt auf uns zu, und Mathias ließ mich für einen Moment los, damit er zwischen uns hindurchtaumeln konnte. »Ihr seht die Welt nicht, wie sie wirklich ist.« Obwohl der Alkoholatem des Mannes mich fast betäubte und ich ihm bis zur Bahnsteigkante ausweichen musste, konnte ich nicht anders, als ihn anzulächeln. Weil die Welt, ob wirklich oder nicht, sich gerade jetzt so schön anfühlte.
    Allerdings schien der Prediger da anderer Meinung zu sein. »Die Welt ist dem Untergang geweiht«, schrie er gegen den Lärm der einfahrenden U-Bahn an. »Und ihr alle mit ihr.« Weil er dazu so ausladende Gesten vollführte, stolperte er und ruderte mit den Armen vergeblich um

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