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Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Titel: Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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der Welt als den verdammten Knorpel im Knie einer fremden Frau. Es ist unglaublich, dass ihr Felix’ und meine Lebenszeit damit verschwendet! Und immer müssen wir unseren Urlaub in eurem Ferienhaus verbringen, weil ihr einen Dummen für die Reparaturen braucht! Das Leben ist auch so schon verdammt kompliziert, und kein Mensch möchte sich über Wappentiere und Dolche den Kopf zerbrechen, höchstens um damit jemanden zu …« Ich verstummte. Was tat ich hier eigentlich? Die ganze Familie, Felix eingeschlossen, starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
     
    Wo lebt es sich’s besser als im Schoße der Familie?
Jean Franois Marmontel
     
    Vermutlich hatte ich das auch. Aber es fühlte sich nicht mal schlecht an. Wer sagte denn eigentlich, dass man sich immer nur vernünftig verhalten musste? Reichte es nicht, dass ich meine Rechnungen pünktlich bezahlte, das Konto nicht überzog und mich jeden Abend gewissenhaft abschminkte? Ich erhob mich so schnell, dass ich das Porzellan auf dem Tisch zum Klirren brachte.
    »Ich brauch mal frische Luft«, stieß ich auf dem Weg zur Tür hervor. »Entschuldigt bitte.«
    »Diese Flucherei gab’s früher bei Frauen nicht«, sagte Felix’ Vater. »Das haben wir nur Alice Schwarzer zu verdanken.«
    »Bestimmt ist ihr schlecht. Ich war übrigens auch immer so aufbrausend, als ich schwanger war«, hörte ich Felix’ Mutter sagen.
    Felix’ Antwort wartete ich nicht mehr ab, ich rupfte meinen Mantel und meine Handtasche von der Garderobe und stürzte aus der Tür, um draußen auf ihn zu warten.
    Aber Felix kam nicht.
    Ich ging fünf Minuten auf dem Bürgersteig hin und her, den Blick fest auf die Tür gerichtet, aber es rührte sich nichts. Gut, vielleicht waren es auch keine fünf Minuten, vielleicht waren es nur drei. Oder zweieinhalb. Aber im Grunde war schon eine Minute zu lang – und meine Entscheidung gefallen. Wenn ich den Mut hatte, das Leuenhagener Sonntagsessen zu ruinieren, warum dann nicht gleich noch was Mutigeres hinterher? Die S-Bahn-Haltestelle lag keine fünf Minuten von hier. Auf dem Weg dorthin griff ich in die Handtasche und angelte mein Handy heraus.
    Mathias war nach dem ersten Klingeln dran.
    »Wann geht noch mal dein Zug?«, fragte ich.

An den Scheidewegen des Lebens stehen keine Wegweiser.
    Charlie Chaplin
    »Tomaten!«, brüllte jemand direkt neben mir. Es war ein Obdachloser, der mit wehendem Mantel und nach allen Seiten abstehenden grauen Haaren durch die Bahnhofshalle lief und schrie: »Tomaten! Ihr habt alle Tomaten auf den Augen! Ihr seht nur, was ihr sehen wollt!«
    Er kam so nah an mir vorbei, dass ich seinen alkoholgeschwängerten Atem riechen konnte, und ich richtete den Blick schnell auf meine Füße. Er schlurfte schreiend weiter: »Ihr denkt, ihr seid vernünftig und ich spinne. Aber in Wirklichkeit ist es genau umgekehrt. Ihr seid hier die Verrückten!«
    Da konnte ich ihm nicht mal widersprechen. Ich lief zwar nicht mit irren Augen durch den Bahnhof und brüllte Leute an, aber ich stand hier vor Starbucks und wartete auf den Mann, der für die Schmetterlinge in meinem Bauch verantwortlich war und dessen Zug in genau einer halben Stunde nach Berlin fuhr. Wenn das mal nicht verrückt war.
    Genauso verrückt wie die Tatsache, dass die Bahn um die Ecke gebogen war, kaum dass ich aufgelegt hatte, um es dann in nur zwölf Minuten zum Bahnhof zu schaffen, was eigentlich rein theoretisch überhaupt nicht machbar war, zumindest nicht nach KVB-Fahrplan, an diesem Nachmittag praktisch aber so passierte. Es war geradezu magisch. Das Schicksal war eindeutig dafür, dass ich mich mit Mathias traf, so viel stand fest.
    Mein schlechtes Gewissen gegenüber Felix konnte ich zwar nicht ganz unterdrücken, aber er selbst hatte dafür gesorgt, dass ich es wenigstens in Wut umwandeln konnte. Der Grund dafür war ein Handyanruf gewesen, der allerdings erst kam, nachdem ich schon fast am Bahnhof gewesen war.
    »Wo steckst du denn? Ich hab den ganzen Garten nach dir abgesucht.« Der Klang seiner besorgten Stimme hatte mich vorübergehend aus dem Konzept gebracht. Bis er hinzusetzte: »Es gibt noch Nachtisch. Tiramisu. Magst du doch so gern.«
    Das war doch nicht zu fassen. »Felix, vielleicht hast du es nicht mitbekommen, weil du über Rosis schlimmes Knie nachgegrübelt hast oder über ein passendes Wappentier, aber ich hatte gerade im Esszimmer deiner Eltern einen veritablen Nervenzusammenbruch. Mir fallen auf Anhieb mindestens zehn Dinge ein, die

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