Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
gefahren, dort unten auf dem Krankenhausparkplatz. Er hatte mich nach Hause gebracht und am nächsten Morgen gleich angerufen, um sich nach mir zu erkundigen. Und mich ins Kino und zum Essen einzuladen, kommenden Samstag. Drei Samstage später hatte er gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, bei ihm einzuziehen, und ein Jahr später waren wir verheiratet. Alles bestens, bis mir dann im Jahr 2011 dieser Mann mit den samtblauen Augen über den Weg laufen und unser Leben in eine griechische Tragödie verwandeln musste. Armer Felix! Das hatte er wirklich nicht verdient.
Aber das alles musste ja auch gar nicht passieren! Wenn ich morgen nicht auf diesen Parkplatz gehen und Felix’ Fahrrad über den Haufen fahren würde, würden wir uns gar nicht erst kennenlernen, dann konnte er mich nicht nach Hause bringen und auch nicht nach meiner Telefonnummer fragen. Wir würden nicht heiraten, und ich würde ihm fünf Jahre später auch nicht das Herz brechen können.
So einfach war das. Felix würde ein glückliches Leben ohne mich führen, er musste weder wegen der Sache mit Mathias leiden noch auf meiner Beerdigung weinen.
Und ich … ich konnte mich ohne jedes schlechte Gewissen Mathias an den Hals werfen.
Weil das hier ja ohnehin alles nicht echt war! Sondern ein total abgefahrener Komatraum. Womit ich und mein Hirn – herzlichen Glückwunsch auch – wieder bei unserer Lieblingsbeschäftigung angekommen waren: Gedankenkarussell fahren. Aber mitten in der nächsten Runde hatte ich plötzlich den einen rettenden Supergedanken: Wenn das hier ein total abgefahrener Komatraum war, dann konnte ich tun und lassen, was ich wollte, oder?
»Was gibt es da zu lachen?« Schwester Sabine hatte die Bettpfanne unter Frau Baronski weggezogen und sah mich mit gerunzelter Stirn an.
»Ich habe nur gerade an etwas Schönes gedacht«, sagte ich und strahlte sie samt der gefüllten Bettpfanne an. Diese irre Parallelwelt (oder was auch immer) begann mir zu gefallen.
Zwei Tragödien gibt es im Leben: die eine, nicht zu bekommen, was das Herz wünscht, die andere, es zu bekommen.
Bernhard Shaw
Ich hatte mich im Flur des dritten Stocks auf die Heizung gesetzt, um besser aus dem Fenster schauen zu können. Von hier hatte man nämlich einen perfekten Blick auf den Parkplatz. Mein Auto parkte gleich da vorne vor dem Fahrradständer, ein bisschen schief, aber kein Wunder, beim Einparken hatte ich schreckliche Bauchschmerzen gehabt.
Ich konnte mich nicht mehr an die genaue Uhrzeit erinnern, aber es musste gegen Mittag gewesen sein, als Felix und ich einander das erste Mal begegneten.
»Können Sie nicht lesen?«
Ich fuhr erschrocken zusammen. Eine Frau guckte streng auf mich herunter. »Es ist verboten, auf der Heizung zu sitzen.«
»Li…«, quietschte ich und schlug mir gerade noch rechtzeitig die Hand vor den Mund. Lillian ! DIE EX. Direkt vor mir und verdammt gut aussehend im weißen Kittel! Obwohl sie mich anguckte, als wäre ich eine Made, fast so, als würde sie mich bereits kennen.
»Lieber Himmel, geht das vielleicht auch ein bisschen freundlicher?«, fragte ich, weil ich der Silbe »li« ja irgendeinen Sinn verleihen musste. »Klar, das hier ist ein Krankenhaus und kein Café, aber trotzdem sind auch Sie darauf angewiesen, dass die Leute wiederkommen. Und es gibt weiß Gott noch andere Krankenhäuser in Köln. Ich persönlich höre beispielsweise immer nur das Beste vom Elisabeth-Krankenhaus. Das würde ich dann beim nächsten Mal bevorzugen.«
Lillian rümpfte ihre Nase. Offenbar fand sie, dass es sich nicht lohnte, mit mir zu sprechen. »Stühle finden Sie weiter vorne im Aufenthaltsraum«, sagte sie im Weggehen.
Ich starrte ihr hinterher. Wie gruselig klein diese ulkige Parallelwelt in meinem Komatraum doch war. Na ja, andererseits war es gar nicht so unwahrscheinlich, Lillian hier über den Weg zu laufen. Schließlich arbeitete sie in diesem Krankenhaus, genau wie Felix.
Ich setzte mich wieder auf meinen Beobachtungsposten auf der Heizung und starrte hinunter zu meinem Auto. Wo blieb Felix nur? Ich hatte gestern nicht gegen die Versuchung ankämpfen können, einfach mal auf seine Station zu gehen und nachzuschauen, ob er da war. Ihn ein bisschen von Weitem zu beobachten. Aber als ich dort ankam, hatte ich Skrupel bekommen. Felix war zwar nicht gläubig und hielt auch nichts von Esoterik, aber im Zusammenhang mit unserem Kennenlernen, hatte er gerne die Worte »Schicksal« und »Fügung« benutzt, und er hatte immer
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