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Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Titel: Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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kommst erst am Montag wieder«, sagte sie, während wir nebeneinander die Treppe hinaufstiegen. Ihr fünf Jahre jüngeres Ich war genauso rot gelockt und niedlich wie das aus dem Jahr 2011 und ein klitzekleines bisschen faltenfreier. Dafür hatte Marlene aber noch nicht diesen selbstbewussten, unbeschwerten, wippenden Gang drauf, der einen Großteil ihrer sinnlichen Ausstrahlung ausmachte. (Er machte alle Frauen höllisch neidisch und veranlasste die Männer, ihr sehnsüchtig auf den Hintern zu starren.) Marlene pflegte das immer bescheiden ihrem Pilates-Kurs zuzuschreiben, aber ich war mir ziemlich sicher, dass Javier daran schuld war.
    »Du hättest dich ruhig noch ein paar Tage erholen können, bevor du dich wieder in Gabis Sklavendienste begibst«, sagte sie. »Pass auf, die wird dir gnadenlos das Existenzgründerseminar von diesem dubiosen Franchiseunternehmen aufs Auge drücken. Seit Tagen windet sie sich nämlich, weil sie es nicht über sich bringt, es abzusagen, schließlich haben sie uns doppelt so viel Kohle geboten wie der Konkurrenz. Und da kann man schon mal darüber hinwegsehen, dass sich der Auftraggeber sehr nahe an der Grenze zu Betrug und Illegalität bewegt.«
    Ich stieß die Tür zum Büro auf. »Keine Angst, das mache ich auf keinen Fall.« Schließlich hatte ich den Kurs »Wie man Nein sagt, ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen« nicht umsonst besucht.
    »Guten Morgen, Linda!«
    »Ach, Kati! Du bist schon wieder da!« Linda kam hinter ihrer Theke hervor und umarmte mich innig. Das wiederum war normal, das hatte sie vom ersten Tag an so gehalten. Sie machte das auch mit völlig Fremden und Bäumen. Und einmal – in gar nicht allzu ferner Zukunft – sogar mit einem Laternenmast. Weil der so traurig ausgesehen hatte.
    Linda wollte auch Marlene um den Hals fallen, aber Marlene hielt sie mit ausgestrecktem Arm von sich. »Du darfst mich erst wieder umarmen, wenn du mit diesen Eigenurinbehandlungen aufgehört hast, das hatten wir doch geklärt!«
    »Und ich hatte dir erklärt und sogar schwarz auf weiß gezeigt, dass Urin kein bisschen riecht, wenn er getrocknet ist.« Linda schob beleidigt ihre Unterlippe vor.
    Oh je, an diese Eigenurinphase konnte ich mich noch gut erinnern. Das bedeutete, Linda war gerade mit diesem Heilpraktiker zusammen, der vor lauter Heil- und anderen Praktiken ganz vergessen hatte, Linda zu erzählen, dass er verheiratet war und drei kleine Kinder hatte. Wie war noch gleich sein Name gewesen? Udo? Ulrich?
    »Ja, aber leider konntest du meine Nase damit nicht überzeugen«, sagte Marlene. »Deine Haare riechen wie ein Windeleimer im Altersheim oder wie diese Pissecke im Parkhauseingang, wo …«
    »Erstens ist das gar nicht wahr, und zweitens würde ich durchaus einen leichten Geruch für eine schuppenfreie Kopfhaut und glänzendes Haar in Kauf nehmen«, fiel Linda ihr ins Wort und warf ihr zugegebenermaßen wunderschön glänzendes Haar in den Nacken. »Urin ist das Natürlichste der Welt, sagt Uwe.«
    Ah, genau. Uwe hatte er geheißen, der ehebrecherische Heilpraktiker. Urin-Uwe. Linda war wochenlang am Boden zerstört gewesen. Was Marlene erwiderte, bekam ich nicht mehr mit, denn mein Blick war hinüber zu Bengts Schreibtisch geschwenkt und dann erstarrt. An Bengts Schreibtisch saß nämlich jemand anders als Bengt. Jemand, den ich völlig vergessen hatte.
    »Das nächste Mal, wenn Sie ohne Ankündigung ein paar Tage dem Büro fernbleiben, sollten Sie wenigstens eine Übergabeliste machen!«, säuselte der Jemand. »Wir haben uns hier über Ihr unkollegiales Verhalten doch sehr ärgern müssen.«
     
    Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.
Mark Twain
     
    Margot Zähler-Reißdorf. Sie war Bengts Vorgängerin gewesen, umgeschulte Diplompädagogin in den Wechseljahren, immer säuselnd, immer auf der Suche nach einem Streit, getarnt als Diskussion und Meinungsaustausch. Trotz Doppelname offenkundig untervögelt, was man auch daran merkte, dass sie das Wort Pimmel auffallend oft in ihre Sätze einflocht, und zwar indem sie Wörter erfand, die es gar nicht gab.
    »Am Freitag kam die Lieferung Büromaterial, für die Sie verantwortlich waren, und ich musste das alles auseinanderpimmeln. Das wäre nicht nötig gewesen, hätten Sie ein bisschen mitgedacht.«
    »Ja, wenn ich mich das nächste Mal einer Not-OP am Blinddarm unterziehen muss, dann werde ich daran denken, dem

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