Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
in der Angelegenheit die Entscheidungsgewalt hat. »Es bleibt alles in Ihren Händen, bis auf das Catering und die Band. Sie machen das großartig mit dem Blumenschmuck und der Dekoration und all den liebevollen Kleinigkeiten und Überraschungen … Ah, aber vielleicht lassen Sie das mit den Tauben lieber.« (Es könnte nämlich sein, dass eine von denen – DIE TAUBE – tot vor die Füße des Blumenmädchens fällt, welches dann für den Rest des Tages hysterisch schluchzt und auf allen Hochzeitsbildern einen glitzernden Rotzzapfen unter der Nase hängen hat …) »Eva hat nämlich eine Vogelphobie, auch wenn sie es nicht zugibt.«
»Aber woher wissen Sie das mit den Tauben, das sollte doch eine Überraschung sein …«
»Nur geraten, meine Liebe. Wie gesagt, keine Tauben. Die Ballons reichen völlig. Die kleinen Mitgebsel im Tüllsäckchen sind übrigens eine ganz, ganz entzückende Idee.« Loben Sie, wann immer es etwas zu loben gibt. Wertschätzung sorgt für eine konstruktive Basis. »Und die wunderschöne Obstdeko…«
Ich ging mit dem Zeigefinger meine To-do-Liste ab. »Ah, aber Frau Luchsenbichler … die sollten wir besser auch weglassen«, murmelte ich, mehr zu mir selber als zu Friedlinde.
»Wie, weglassen?«, rief Friedlinde entsetzt. »Frau Luchsenbichler ist eine liebe Nachbarin.«
Nachbarin ja, lieb nein. Die Frau war eine Plage. Von ihr hatten Eva und Robert zwar recht günstig das entzückende Grundstück erworben, auf dem ihr entzückendes Einfamilienhaus stand, in welchem sie ihr entzückendes Bilderbuchleben lebten, aber nur jemand mit dem stoischen Charakter meiner Schwester konnte – eingekeilt zwischen Schwiegereltern und einer Frau Luchsenbichler – überhaupt ein so friedliches Dasein führen. Denn obwohl Frau Luchsenbichler das Grundstück verkauft hatte, dachte sie auch fünf Jahre später noch, es wäre eigentlich ihres. Weshalb sie auch häufig aus dem Nichts auf Evas Terrasse erschien und ihren Kopf ins Wohnzimmer steckte. Und sehr, sehr grantig wurde, als Robert und Eva einen Zaun zogen, über den sie mit ihren siebzig Jahren nicht mehr so ohne Weiteres klettern konnte. Leider konnte sie aber immer noch über den Zaun gucken und alles kommentieren, was sie sah. Im letzten Sommer (also von hier aus betrachtet in vier Jahren) hatte Henri mit zwei anderen Kleinkindern im Planschbecken gespielt, und da war es mit Frau Luchsenbichler durchgegangen. Sie dulde keine Nacktheit auf ihrem Grundstück, hatte sie gerufen, und zwar wegen der Bakterien und der Homosexualität. Womit sie sogar Roberts und Evas Engelsgeduld überstrapaziert hatte – aus dem Zaun waren Sichtschutzelemente geworden.
»Eine liebe Nachbarin, die mein Sohn schon von klein auf kennt«, wiederholte Friedlinde, diesmal ganz ohne Pressluft.
Richtig. Das hatte Frau Luchsenbichler auch auf DER HOCHZEIT in einer spontanen Rede den Gästen mitgeteilt. Während des Hauptgangs hatte sie überraschend das Mikro an sich gerissen und nicht mehr hergegeben, bis sie diverse Details aus Roberts Kindheit zum Besten gegeben hatte. Wir erfuhren unter anderem, dass der kleine Robert (»das Robbemännlein«) sich einmal in seine Lederhosen gemacht habe wegen der Dogge aus Nummer 35, was aber kein Wunder sei, denn Hunde gehörten ja verboten, weil die überall ihr großes Geschäft verrichteten, auch in Frau Luchsenbichlers Vorgarten. Aber das Robbemännlein, das wusste Frau Luchsenbichler schon ganz früh, würde nie einen unhygienischen Hund besitzen und auch sonst nicht zu diesen schlimmen Jungs gehören, die mit Drogen, Zigaretten, lauter Musik und Schminke herumexperimentierten und aus denen homosexuelle Taugenichtse und Grünenpolitiker werden würden. Obwohl, die langen Haare so um 1985 herum, die hatten Frau Luchsenbichler nicht gefallen. Gefallen hatte ihr allerdings die braun gelockte Claudia, von der sie, Gisela Luchsenbichler, ja sehr gehofft habe, dass Robert sie heiraten würde, weil die Claudia, das müsse sie nun doch mal sagen dürfen, von allen Mädchen, die er im Laufe der Jahre nach Hause gebracht hatte, einfach am besten zu ihm gepasst hatte, auch vom Charakter her. Und dass die Claudia ja Musik studiert und so schön auf der Querflöte gespielt hätte und dass sie, Gisela Luchsenbichler, immer ganz feuchte Augen bei diesem hübschen Motiv aus Carmen bekommen habe, wie ging es noch gleich? La la lalala lalala …
Das Ärgerliche am Ärger ist, dass man sich schadet, ohne anderen zu nützen.
Kurt
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