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Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Titel: Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Gemüsetheke erhaschte ich einen Blick auf mich und blieb stehen, um mich wohlwollend zu betrachten. Ich trug die Lieblingsjeans und ein enges T-Shirt, unter dem sich nicht die winzigste Speckrolle abzeichnete. Den neuen Trenchcoat trug ich lässig offen darüber, und ohne eingebildet klingen zu wollen: Ich sah super aus! Ich sollte mich unbedingt für einen Pilates-Kurs anmelden, um diesen Zustand so lange wie möglich zu erhalten.
    Zufrieden vor mich hinsummend schob ich meinen Einkaufswagen weiter vorwärts. Zu sagen, dass ich mich bei meinem unfreiwilligen Besuch in der Vergangenheit allmählich entspannte, wäre zu viel gewesen (tatsächlich hatte ich jeden Abend beim Einschlafen große Angst, unter der U-Bahn im Jahr 2011 wieder zu erwachen, entspannend war das nicht!), aber ich begann doch, mich damit zu arrangieren. Die Aussicht, Mathias auf dem NLP-Seminar wiederzutreffen, hob meine Laune ebenso wie die Tatsache, dass ich hier und da aufgrund meiner Kenntnisse die Zukunft betreffend schon kleine Erfolge erzielt hatte.
    Und dank Linda fühlte ich mich auch nicht mehr so allein. Na ja, ganz so konnte man das nicht sagen, aber zumindest hatte ich jemanden gefunden, mit dem ich zusammen über das Geschehene nachdenken konnte. Dass ich aus der Zukunft kam, hatte Linda nämlich keinen Augenblick angezweifelt, im Gegenteil, sie hatte sich meine ganze, verworrene Geschichte mit weit aufgerissenen Augen angehört, und an der Stelle, an der ich von der U-Bahn überfahren wurde, hatte sie zu weinen angefangen.
    »Das ist ja entsetzlich, du Arme!«, hatte sie geflüstert und bei dem Versuch, mich tröstend zu umarmen, ihre Bionade umgekippt. »Du musst dich ganz grauenhaft fühlen! Aber du bist nicht allein! Ich habe einiges über Seelenwanderung gelesen … Und ich glaube nicht, dass du tot bist. Im Gegenteil: Das Leben hat dir eine zweite Chance gegeben.«
    Erleichtert hatte ich mich in ihre klebrige (und leicht nach Urin riechende) Umarmung sinken lassen und auch ein bisschen geheult – mehr aus Dankbarkeit als aus Selbstmitleid. »Ich liege also im Augenblick nicht irgendwo im Jahr 2011 in einer Leichenhalle herum?«
    »Nein, sterben geht ganz anders«, beruhigte mich Linda. »Da wärst du nicht in der Zeit zurück in eine Parallelwelt versetzt worden, sondern hättest durch einen Tunnel wandern müssen, durch einen See von Tränen waten, die deinetwegen vergossen worden sind, an all den Tieren vorbei, die deinetwegen gestorben sind. Und sie hätten dich mit ihren traurigen Kuhaugen angeschaut, und dann wärst du ins Licht gegangen und im nächsten Leben als Vegetarierin wiedergeboren worden.«
    »Es ist so lieb von dir, dass du mir glaubst und mich nicht für verrückt erklärst!«, schniefte ich.
     
    Ein Freund ist ein Mensch, vor dem man laut denken kann.
Ralph Waldo Emerson
     
    » Natürlich glaube ich dir, Katilein«, sagte Linda, und für ein paar Sekunden fühlte ich mich in ihren Armen sicher und geborgen. Vielleicht war Linda doch viel weiser als wir alle, dachte ich. Bis sie hinzufügte: »Ich würde es auch sofort an deiner Aura erkennen, wenn du lügen würdest.«
    Das war mein Stichwort gewesen, und ich musste mich leider wieder von ihr losmachen, meine Tränen abwischen und diese leidige Geschichte mit Uwe auf den Tisch packen. »Apropos Lüge …«, hatte ich schweren Herzens begonnen.
    Aber ich hätte es mir denken können: »Future Woman« hatte Linda mir sofort abgenommen (und wäre ich auf einem Einhorn hergeritten, hätte sie es hingebungsvoll gestreichelt), doch dass Uwe sie seit Wochen verarschte, wollte sie mir einfach nicht glauben. Dabei zog ich alle Register (ich hielt mich an Marlenes Leitfaden aus ihrem Seminarhit, den sie im Jahr 2009 entwickeln würde: »Wirkungsvoll bluffen«). Trotzdem – die Beweislage war so dürftig, dass ich es schon als Erfolg verbuchen konnte, wenigstens die Saat des Misstrauens gesät zu haben. Und Linda hatte mit den Eigenurinbehandlungen aufgehört – immerhin. Das nahm ich als gutes Zeichen.
    »Entschuldigung, darf ich mal?« Ich steuerte meinen Einkaufswagen schwungvoll an einer gestressten Mutter mit einem riesigen Doppelkinderwagen vorbei, ehe die den Gang zwischen der Kühltheke mit den Milchprodukten und dem Frühstücksflockenregal entern und damit für Stunden blockieren konnte.
    Schnell überschlug ich im Kopf, wie viel Sahne ich brauchte, wenn das Essen für sechs Personen, und nicht, wie im Rezept vorgegeben, für vier reichen sollte, und

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