Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
und versuchte, Marlenes plötzlich gar nicht mehr gläsernen Blick zu ignorieren.
»Eine Eingebung?«
Ich nickte. »Es war, als hätte jemand zu mir gesprochen. Aber nicht … mit einer Stimme …«, setzte ich hastig hinzu. Oje, das war wirklich … gar nicht so einfach. Vor allem, weil Marlene jetzt die Stirn runzelte.
Linda musterte mich aufmerksam. »So wie gestern, bei dem Kind von Tom Cruise?«, fragte sie mit leuchtenden Augen.
Und da begriff ich, dass ich Linda gar kein Märchen über meine vermeintlichen übersinnlichen Fähigkeiten auftischen musste. Sie war möglicherweise der einzige Mensch, dem ich die Wahrheit erzählen konnte, ohne für verrückt erklärt zu werden. Der einzige Mensch, der meine bescheuerte Geschichte glauben könnte.
Ich lächelte sie schief an. »Wie wäre es, wenn wir heute Mittag zusammen essen gehen würden, nur du und ich?«
Der Anfang des Heils ist die Kenntnis des Fehlers.
Epikur
Die Zeit in meinem Paralleluniversum verging entschieden schneller als im richtigen Leben, zumindest kam es mir so vor. Zwischen Seminarvorbereitungen und beruflichen Telefonaten gelang es mir dennoch, diverse Punkte auf der To-do-Liste abzuhaken, auch was Punkt 2 – DIE HOCHZEIT – und dessen Unterpunkte anging, aber das Telefonat mit Evas Schwiegermutter stand noch aus. Es war schon fast Mittagessenszeit, als ich endlich dazu kam, ihre Nummer zu wählen.
Das Freizeichen ertönte.
Ohne hinzusehen, wusste ich, dass Marlene mich von ihrem Schreibtisch aus genau beobachtete, und zwar mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Den ganzen Morgen hatte sie meine Telefonate mit angehört, und da sie ja nicht wusste, dass sie Future Woman vor sich hatte, mussten ihr meine Reaktionen mehr als merkwürdig vorgekommen sein.
Wie zum Beispiel vorhin, als Frau Tietgen angerufen hatte, die Personalreferentin des Chemiekonzerns, die von mir erwartete, dass ich in der nächsten Woche ihren Azubis etwas über Teamarbeit beibrachte. Ich hatte darauf bestanden, einen Azubi mit Namen Dennis Benke oder Henke (da war ich mir nicht mehr sicher, in den Folgejahren hatte er nur noch DER AZUBI geheißen) im Interesse aller vom Seminar auszuschließen. Obwohl die Geschichte sich prima eignete, wenn es auf einer Party um die zehn peinlichsten Erlebnisse im Job ging, wollte ich nämlich nicht noch einmal erleben, dass jemand mitten in meinem Vortrag anfing zu onanieren. Frau Tietgen war übrigens sofort bereit, meinen Wünschen nachzukommen, weil besagter Azubi sie immer »Frau Tittchen« nannte.
Während meiner Verhandlungen hatte Marlene das erste Mal eine Augenbraue hochgezogen.
»Dennis Benke, ein Name, den du dir merken solltest«, erklärte ich ihr, ehe sie auf die Idee kam nachzufragen. »Sollte er jemals auf einer deiner Teilnehmerlisten auftauchen – sofort Gegenmaßnahmen treffen. Zu seiner Entschuldigung lässt sich aber sagen, dass die bewusstseinsverändernden Substanzen, die er zu sich nimmt, aus dem eigenen Hause stammen.«
»Äh … okay .« Marlene beließ es dabei, aber man sah ihr an, dass sie sich kurzfristig fragte, ob meine bewusstseinsverändernden Substanzen nicht auch aus eigenem Haus stammten.
Dass ich Linda beim Mittagessen schonend über den wahren Familienstatus von Uwe in Kenntnis setzen wollte, unterstützte sie allerdings voll und ganz. Sie kam glücklicherweise nicht mehr dazu, sich zu erkundigen, woher ich meine Informationen hatte (»Na, weil ich aus der Zukunft komme!«), weil wir nur genau drei Minuten für ein Gespräch hatten (Linda war kurz auf dem Klo gewesen); die Idee an sich jedoch fand sie gut, Urin-Uwe war ihr auch ohne Ehefrau schon nicht sympathisch.
Nach einer kurzen Entspannungsphase schien sich Marlenes Verdacht, was meinen Drogenkonsum betraf, allerdings wieder zu verdichten, als ich nämlich mitten in ihrer seufzend vorgetragenen Aufzählung von Wochenendterminen, die Gabi ihr aufgehalst hatte, aufsprang und brüllte: »Du machst eine nlp -Fortbildung? Hast du die Unterlagen?«, um ihr die selbigen dann aus der Hand zu reißen, ungefähr so, wie ein sehr hungriger Löwe seinem Zoowärter das Fleisch entreißen würde. Denn ich hatte mich blitzartig erinnert, dass Marlene im Jahr 2011 gesagt hatte, sie kenne Mathias von ein paar NLP-Fortbildungen.
Und – Bingo ! Vor Freude und Aufregung war ich rot angelaufen, als ich Mathias’ Namen auf der Teilnehmerliste entdeckte. Beinahe hätte ich triumphierend die Faust in die Luft
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