Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
ich mir so ein hautenges, elastisches Kostüm schneidern, das ich unter meinen normalen Sachen tragen konnte, mit einem goldenen F auf der Brust … Und mitten in diesem überaus positiven Gedanken schlief ich ein, und zwar ohne mich vorher abzuschminken, was dazu führte, dass meine Gedanken beim ersten Blick in den Spiegel am anderen Morgen nicht ganz so positiv waren.
Als ich – eine lange Dusche, zwei Aspirin und drei Tassen Kaffee später – im Büro ankam, war ich auch nicht mehr ganz so zuversichtlich, ob Future Woman wirklich in der Lage war, ihr Wissen die Zukunft betreffend nutzbringend einzusetzen. Bei Linda zum Beispiel.
»Uwe sagt, wir sind jetzt so weit.« Sie hatte gewartet, bis Gabi und der Reißwolf zu ihren Vormittagsterminen aufgebrochen waren, dann hatte sie sich vor Marlenes und meinem Schreibtisch aufgebaut.
Mir schwante Böses. Und richtig:
»Es wird Zeit für den Muttermundorgasmus, sagt Uwe.«
Marlene und ich tauschten einen kurzen Blick. Auch in ferner Zukunft waren wir immer noch, wenn Linda uns an ihrem esoterischen Sexualleben teilnehmen ließ, hin- und hergerissen zwischen neugieriger Faszination und dem Bedürfnis, die Finger in die Ohren zu stecken und laut »Lalalalala!« zu singen. In diesem Fall wusste ich leider schon, was kommen würde, denn an die Geschichte mit dem »Muttermundorgasmus« konnte ich mich genau erinnern.
»Die wenigsten Frauen erleben ihn, sagt Uwe«, erklärte Linda, exakt, wie sie es damals auch getan hatte. »Und die wenigsten Männer sind in der Lage, einer Frau einen zu verschaffen. Aber Uwe kennt sich damit aus. Genau genommen ist der Muttermundorgasmus seine Erfindung .« Sie beugte sich so weit über meinen Schreibtisch, dass der Anhänger ihrer Halskette in meiner Teetasse badete. »Im Wesentlichen geht es darum, sich als Frau völlig hingeben zu können, sich freizumachen von allen Ängsten und Traumata und dem Partner bedingungsloses Vertrauen entgegenzubringen.«
Und wie damals schon begann Linda einen verwirrenden Vortrag über Meridiane, Chakren und seelische Blockaden im weiblichen Enddarm (an der Stelle hatte ich in Gedanken längst die Finger in den Ohren und sang), der sich dann in den unverständlichen Weiten von Yin und Yang verlor. Marlenes Blick wurde leicht glasig.
Überall geht ein frühes Ahnen dem späteren Wissen voraus.
Alexander von Humboldt
Mir war klar, dass ich etwas tun musste, die Frage war nur, was? Soweit ich mich erinnerte, war es noch ein paar Wochen hin, bis Urin-Uwe aus heiterem Himmel mit seiner Ehefrau und den drei Kindern rausrücken und Linda das Herz brechen würde. Sie war absolut untröstlich gewesen, wochenlang hatte sie nicht gelächelt und wie ein verheultes Angorakaninchen ausgesehen. Der Mistkerl war aber auch besonders perfide vorgegangen: Per E-Mail hatte er ein Familienfoto geschickt und sich für die wirklich schöne Zeit bei Linda bedankt. Er wisse, hatte er geschrieben, er könne bei Linda mit Verständnis dafür rechnen, dass er sich nun wieder mehr seiner Familie widmen wolle. Er hatte auch den Zusatz nicht vergessen, dass sie durch das gemeinsam Erlebte für immer miteinander verbunden wären. Von der strahlenden, optimistischen, die ganze Welt umarmenden Linda war nur ein trauriges Häufchen Elend übrig geblieben, das die Schultern hängen ließ und eine so düstere Aura besaß, dass sogar Laien sie sehen konnten. So viel Kummer konnte ich doch auf keinen Fall noch einmal zulassen. Andererseits: Die Zeit bis zu dieser schmerzhaften Erkenntnis war Linda wirklich sehr, sehr glücklich gewesen. Was wog nun mehr? Und wer war ich, mich da einzumischen? Future Woman?
»Uwe sagt, die meisten Frauen fühlen sich von den Lebensumständen gezwungen, das Yang überzubetonen, weil …«
»Ich fürchte, Uwe hat dein Vertrauen nicht verdient«, platzte es aus mir heraus.
»Wie bitte?« Sie schaute mich entgeistert an.
Ich schaute genauso entgeistert zurück. Was tat ich denn da? Wer sagte mir, dass sie jetzt nicht genauso enttäuscht und traurig sein würde wie später? Dann hätte ich das Ganze nur beschleunigt und nicht abgemildert. Allerdings würde ich sie wenigstens nicht um die Erfahrung eines Muttermundorgasmus bringen, denn soweit ich mich erinnerte (und obwohl Uwe den ja selber erfunden hatte), war es dazu trotz Lindas Hingabe und ihres bedingungslosen Vertrauens nicht gekommen. »Ich … ich weiß auch nicht … Gerade hatte ich so eine Art … Eingebung …«, murmelte ich
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