Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
gereckt. Da hatte es doch eindeutig wieder seine Finger im Spiel – mein guter alter Kumpel, das Schicksal! Es war so viel besser, Mathias auf diesem Seminar in aller Ruhe kennenzulernen, als ihm noch mal »zufällig« irgendwo aufzulauern.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Marlene mich, und ich versicherte ihr ein wenig hysterisch, dass alles bestens sei, sofern sie mich bittebittebitte umgehend ebenfalls für das Seminar anmelden würde. Nur mit viel Mühe konnte ich den Zusatz »Es geht um Leben und Tod« unterdrücken.
»Aber das ist schon der zweite Teil der Fortbildung, und beim ersten hast du gesagt, dass NLP pseudowissenschaftlicher Quatsch zur Manipulation von Gesprächspartnern sei und …«
Jedes Verhalten ist in irgendeinem Kontext sinnvoll.
NLP
»Ich hab’s mir eben anders überlegt«, rief ich schrill, und weil Marlene aussah, als würde ich ihr allmählich Angst einjagen (bei Drogen aus eigener Herstellung konnte ja leicht etwas schiefgehen), fügte ich etwas weniger leidenschaftlich hinzu: »NLP kann man immer gebrauchen, und die Grundlagen sind mir ja durchaus vertraut. Bitte frag, ob noch ein Platz frei ist. Wenn Gabi es nicht bezahlen will, übernehme ich die Kosten selber.«
Marlene, gutmütig, wie sie nun mal war, hatte mit dem Kursleiter telefoniert und mich – mit inzwischen bis an den Haaransatz hochgezogenen Augenbrauen – für die Fortbildung nachgemeldet, und seitdem grinste ich wie ein Honigkuchenpferd vor mich hin. Na also! Ging doch. In weniger als zwei Wochen würde ich Mathias wiedersehen, aber dieses Mal würde ich nicht passiv herumstehen und auf den magischen Moment warten, nein! Dieses Mal würde ich gründlicher vorgehen, mit mehr System.
NLP, eben. Narrensicherer Lebensplan. Nigelnagelneue Liebespaarung. Nachhaltiger …
»Mit wem telefonierst du denn jetzt schon wieder?«, flüsterte Marlene, während ich immer noch darauf wartete, dass Evas Schwiegermutter sich an ihr Telefon bequemte.
In meinem Hirn formte sich die überaus alberne Vorstellung, Marlene einen selbst komponierten Future-Woman-Jingle entgegenzuschmettern. »Keine Zeit«, hauchte ich stattdessen und deutete auf den Hörer, aus dem sich jetzt endlich die energische Stimme von Evas Schwiegermutter meldete.
Bald darauf war ich nicht undankbar, dass zielführendes Verhandlungstraining eines meiner Fachgebiete war. Denn wie erwartet war sie alles andere als erfreut, als ich ihr mitteilte, dass ich mich um das Catering und die Band kümmern würde.
»Da gibt es nichts zu kümmern, Fräulein Wedekind, das ist alles längst erledigt. Und in besten Händen!«, sagte sie in kriegerischem Tonfall. Sie hieß Friedlinde, aber ich hatte immer schon gefunden, dass der Name nicht zu ihr passte, auch wenn sie zugegebenermaßen sehr leckeren Kirschstreusel backen konnte und Eva niemals auf den Wecker fiel. Was allerdings an Eva und ihrem sonnigen Gemüt lag – ich würde wahnsinnig werden, wenn ich Friedlinde jeden Tag dreißigmal »Ja, wo ist denn der kleine Henri? Ja, wo isser denn?« brüllen hören müsste, Kirschstreusel hin, Kirschstreusel her.
»Glauben Sie mir, am Ende werden Sie mir dankbar sein, dass Sie nicht für gammlige Thunfischschnittchen, gefährliche Gräten im Steinbuttfilet und als Mousse au Chocolat etikettierte Paradiescreme verantwortlich gemacht werden können«, erwiderte ich freundlich, aber bestimmt. Wenn meine kommunikativen Strategien auch bei meiner Chefin regelmäßig an ihre Grenzen stießen, gegenüber einer Münsteraner Hausfrau mit energisch gestärkter Rüschenbluse würde ich mich doch wohl durchsetzen können. »Außerdem weiß ich aus zuverlässiger Quelle, dass es in der Band private Probleme gibt, was sich leider nachhaltig auf die Qualität der Darbietung auswirkt.« Und zwar dergestalt, dass die Sängerin gar nicht erst erscheint und der Keyboarder den Vokalpart mit übernimmt, aber nur in der Lage ist, abwechselnd sehr, sehr traurige und sehr, sehr wütende Lieder zu singen, während er sich zunehmend betrinkt – bekifft war er vorher schon –, um schließlich mit der TANTE in der Garderobe …
»Ich verstehe nicht, wieso Sie sich jetzt so plötzlich noch in alles einmischen wollen«, unterbrach Friedlinde meine Erinnerungen. Vor lauter Empörung holte sie vor jedem Konsonanten Luft, die sie dann zischend durch die Vorderzähne in die Silben presste.
»Aber nein«, sagte ich. Erzeugen Sie ein Wir-Gefühl, aber lassen Sie keinen Zweifel daran, wer
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