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Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Titel: Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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hyperventilieren. Und dann würde Marlene aufwachen und sich erneut übergeben, und die Opiumfrau würde hysterisch schreien und das Parfüm aus ihrer Handtasche ziehen, um damit den Geruch nach Erbrochenem zu übersprühen, und dann würde ich ausrasten und den Spazierstock aus der Hand ihres Gatten reißen und damit wild um mich schlagen …
    Und dann tat ich es einfach. Weil ich in dieser Parallelwelt so viel mutiger war als im echten Leben, legte ich meine freie Hand in Mathias’ Nacken, zog ihn vorsichtig näher und küsste ihn auf den Mund. Zuerst nur ganz vorsichtig, aber als er sich nicht wehrte, wurde ich ein wenig nachdrücklicher, und nach ein paar Sekunden der Verblüffung küsste er zurück. So, als wären wir ganz allein in diesem Aufzug. Ach, und da war er wieder, der Moment, und genauso magisch, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich wusste ja schon, dass Mathias unglaublich toll küssen konnte, aber es riss mich dennoch wieder beinahe von den Füßen.
    Bis es einen Ruck gab und die Opiumfrau »Er geht wieder!« sagte. Und: »Gott sei Dank!«
    Gott sei Dank? Nein, vermutlich hatten wir das wieder mal dem Schicksal zu verdanken, dem alten Spaßverderber!
    Mit einem leisen Pling öffneten sich die Aufzugstüren.
    Ich löste mich von Mathias. »Wir sind da«, sagte ich und packte Marlene, die wie eine überdimensionale, bleiche Käthe-Kruse-Puppe in der Ecke kauerte, am Oberarm.
    »Was?« Er sah mich verdutzt an, wie jemand, der aus dem Tiefschlaf erwacht. Ich drückte ihm Marlenes anderen Arm in die Hand, und wir schleiften sie bis zu unserem Zimmer, wo wir sie mit vereinten Kräften auf das Bett legten.
    »Ich schäme mich so«, sagte Marlene zu Mathias. »Ich hab vergessen, wie du heißt, aber ich ahne jetzt schon, dass ich dir morgen nicht in die Augen sehen kann. Scheiße, würdest du bitte gehen, bevor ich dir auf die Schuhe kotze?«
    »Keine Sorge, ich hab das morgen alles wieder vergessen«, sagte Mathias und grinste, während ich mich hektisch im Raum umsah, der für die eine Nacht, in der wir hier schliefen, doch ein bisschen … chaotisch wirkte. Unauffällig versuchte ich mich zwischen Mathias und den Sessel zu schieben, über den ich vorhin meinen BH geworfen hatte.
    »Geh weg!«, sagte Marlene, und zwar so barsch, dass Mathias gar nichts anderes übrig blieb, als zur Tür zu gehen. Ich folgte ihm.
    »Vielen Dank, du warst eine riesengroße Hilfe«, sagte ich draußen auf dem Flur. »Und ich würde liebend gern noch ein bisschen Zeit mit dir verbringen, aber … Ich fürchte, ich kann Marlene nicht allein lassen.«
    »Nein, das kannst du auf keinen Fall«, sagte Mathias und seufzte sehr tief. »Wenn du irgendwas brauchst, ich wohne in Zimmer 412 …« Er sah mich unschlüssig an, dann streckte er seine Hand aus und streichelte meine Wange. »Hör mal, ich weiß, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen, ähm, wo wir uns doch gerade erst kennengelernt haben, aber das Dumme ist, ich … Also, morgen Nachmittag fahre ich gleich von hier zum Flughafen. Und dann bin ich für vier Wochen weg. Und gerade habe ich das Gefühl, dass das eine sehr lange Zeit ist.«
    Ja, danke auch, liebes Schicksal. Ich wusste doch gleich, dass du für unseren romantischen Kennenlernabend noch mehr auf Lager hast als eine kleine Alkoholvergiftung. Von wegen, perfektes Timing! Das Timing war eine Katastrophe. In vier Wochen würde er mich vermutlich längst wieder vergessen haben, und dann musste ich noch mal ganz von vorne anfangen … Es sei denn, ich würde jetzt mit auf sein Zimmer gehen und irgendwas kolossal Unvergessliches mit ihm anstellen … Aber gerade als ich darüber nachdachte, wie das genau aussehen könnte, stöhnte Marlene hinter mir ganz erbärmlich.
    »Wohin fliegst du denn?«, fragte ich mit einem tapferen Lächeln. Vier Wochen! Welcher Arbeitnehmer in einer Führungsposition konnte sich denn heutzutage überhaupt so lange Urlaub nehmen?
    »Ich besuche Freunde in Chile«, sagte er unglücklich. »Und vorher helfe ich meiner Schwester beim Umzug nach New York. Sie hat einen wirklich guten Job beim Goethe-Institut ergattert.«
    Ja, wie schön für seine Schwester. Und wie schön für ihn, dass er Freunde und Verwandte an so aufregenden Orten der Erde besaß und nicht nur in Münster-Gremmendorf, wie gewisse andere Leute. Wahrscheinlich würde er dutzendweise hübsche, intelligente New Yorkerinnen und Chileninnen treffen und bei seiner Rückkehr den Zettel mit meiner Telefonnummer – »Kati

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