Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
wer?« – achtlos ins Altpapier werfen. Jetzt schaffte ich es nicht mal mehr, tapfer zu lächeln.
Er fing wieder an, meine Wange zu streicheln. »Sag mal – vorhin im Fahrstuhl …«
»Ja, das war … ein Trick von meinem Therapeuten«, improvisierte ich. »Wenn die Angst kommt, soll man sich ganz schnell mit irgendetwas ablenken.«
Mathias zog eine Augenbraue hoch. »Das hat funktioniert. Danke.«
Ich lächelte. »Gern geschehen. Und was meinst du, was ich erst getan hätte, wenn auch noch ein verkleideter Weihnachtsmann im Aufzug gewesen wäre …«
Da weiteten sich seine Pupillen noch einmal, wie vorhin im Fahrstuhl, und ganz bestimmt hätte er mich geküsst, wenn in diesem Augenblick Marlene nicht wieder zu würgen angefangen hätte.
Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.
Søren Kierkegaard
New York und Chile waren sehr weit weg, und vier Wochen waren sehr lang.
Eine Erkenntnis, die leider auch für das Paralleluniversum galt. Aber vermutlich sollte ich dankbar sein, dass Mathias mich weder gleich im Flugzeug vergessen noch meine Handynummer in einem New Yorker Gulli versenkt hatte.
Stattdessen gab er alle zwei oder drei Tage ein Lebenszeichen von sich, zwar nicht so innig oder verliebt, wie ich es mir gewünscht hätte, aber entschieden besser als nichts. Ich bemühte mich, meine Antworten ähnlich kurz und lapidar zu halten, obwohl ich ihm nur zu gern ellenlange, sehnsüchtige Mails geschickt hätte. Mit Gedichten und Herzen. Aber das musste warten.
Und so tauschten wir uns eben über Kartoffeln aus.
Hey Kati, esse gerade Folienkartoffeln mit Creamcheese und musste natürlich an dich denken. Liebe Grüße aus New York, Mathias.
Lieber Mathias, freut mich, dass du beim Anblick einer Kartoffel mit Käsecreme an mich denken musst. Hoffe, dir werden unterwegs noch viele Kartoffeln begegnen. Liebe Grüße, Kati.
Oder über Fahrstühle.
Liebe Kati! Die Aussicht vom Empire State Building ist großartig. Aber im Aufzug habe ich dich doch sehr vermisst.
Hi Mathias, wusstest du, dass man auch die Treppe nehmen kann? 1576 Stufen, der Rekord liegt bei 9 Minuten, 33 Sekunden. Alles Liebe, Kati.
Die Zeit zwischen zwei SMS oder Mails vertrieb ich mir mit Warten auf weitere SMS oder Mails, den Planungen für DIE HOCHZEIT (irgendetwas hatte ich noch vergessen, das wusste ich genau …) und damit, ein besserer Mensch zu werden. Was alles gar nicht so einfach war, vor allem Letzteres nicht.
Immerhin schienen meine Versuche zu fruchten, Marlene wieder mit Javier zusammenzubringen. Ganz sicher war ich mir natürlich nicht, ob das auf meine vernünftigen und psychologisch ausgesprochen weisen Worte zurückzuführen war oder ob die Anziehungskraft zwischen den beiden nicht auch ohne mich stark genug war. In dem anderen 2006 hatte es ja auch ohne mein Zutun geklappt. Jedenfalls waren sie nun wieder zusammen und Marlene glücklich. Wenigstens eine von uns.
Linda hatte sich in ihrem Trennungsschmerz von Urin-Uwe zwar kurzzeitig von Javiers Bandkollegen Emil ablenken lassen, aber Hals über Kopf in eine neue Beziehung hatte sie sich doch nicht stürzen wollen. Obwohl Emil gar nicht abgeneigt schien, als Lückenbüßer in die Bresche zu springen.
»Weißt du, das, was du über die Linda aus dem Jahr 2011 erzählt hast, bereitet mir wirklich Kummer«, sagte Linda zu mir. »Dass ich in fünf Jahren immer noch auf der Suche nach dem Richtigen sein werde und mich jedes Mal von Neuem auf die falschen Typen einlasse! Habe ich denn gar nichts gelernt?«
»Ähm«, sagte ich, um Zeit zu gewinnen. »Wahrscheinlich schon. Aber es gibt eben so viele verschiedene Arten von falschen Typen, dass man diesbezüglich wohl niemals auslernt.«
»Ach Quatsch«, sagte Linda. »Es muss doch an mir liegen, wenn ich mich ständig auf Männer einlasse, die mir nicht guttun. Aber glücklicherweise bist du ja aus der Zukunft gekommen, um mich wachzurütteln. Und deshalb wird ab jetzt alles anders.« Sie strahlte mich an. »Ich werde mich wieder mehr auf meine eigenen Werte besinnen und meine Energie in meine berufliche Fortbildung stecken, anstatt sie mit Männern zu verschwenden, die mich gar nicht verdient haben. Sieh mal, ich bin erst einunddreißig, und eigentlich wollte ich nicht als Gabis Assistentin alt werden.«
Das klang prinzipiell schon mal gut. Bis sie hinzufügte: »Und deshalb habe ich bei der Bank einen Kredit aufgenommen, um meine Ausbildung zur schamanischen Heilerin zu
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