Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
nicht aus der Ferne hatte regeln lassen. Offensichtlich heirateten am gleichen Wochenende noch zwei Millionen andere Paare in der Region, und nicht alle Restaurants reagierten positiv auf meinen Wunsch, ihre Mousse au Chocolat (wahlweise das Tiramisù) persönlich kosten zu wollen. Als ich schon fast aufgeben wollte, fand ich einen entzückenden Italiener, dessen Restaurant erst vor drei Wochen eröffnet hatte, weshalb er für das Hochzeitswochenende noch Kapazitäten freihatte. Die Probehäppchen, die er mir servierte, waren himmlisch und reichten zusammen mit dem, was ich bei meinen Eltern bekam, um mich für den Rest der Woche satt zu machen.
Ich hatte auch eine Verabredung mit Friedlinde, um mit ihr die Sitzordnung neu auszutüfteln, und bei der Gelegenheit konnte ich vorher noch nebenan Evas und Roberts frisch gegossene Erdgeschossdecke besichtigen.
Als wir auf der Baustelle herumkletterten und Eva mir erklärte, wo sie welche Möbel hinzustellen gedachte, verdunkelte sich urplötzlich das zukünftige Wohnzimmer, und eine quakende Stimme sprach aus dem Fensterloch: »Ich sah mich leider gezwungen, einen der Bauarbeiter wegen unzüchtigen Verhaltens abzumahnen.«
Und da fiel mir schlagartig wieder ein, was ich die ganze Zeit vergessen hatte: Frau Luchsenbichler.
Eva seufzte. »Hat er etwa … aber dafür gibt es doch das Dixi-Klo.«
»Ach, nein, nicht was Sie wieder denken«, sagte Frau Luchsenbichler. Ihre Stimme war in etwa so angenehm wie das Geräusch, das frische Kreide auf einer Tafel macht. In meinem Inneren fochten die neue, menschenfreundliche Kati und mein altes Ich einen Kampf aus. Die neue, menschenfreundliche Kati wollte mir einreden, dass Frau Luchsenbichler eine einsame alte Frau sei und es ihr das Herz bräche, wenn man sie von der Hochzeit ausschloss. Die alte Kati erwägte, am Hochzeitstag einfach die Türen und Fenster von Frau Luchsenbichlers Haus zu vernageln.
»Dieser Mann … so ein kräftiger Kümmeltürke, der die anderen immer rumkommandiert – er kratzt sich völlig ungeniert an seinem Gemächt !« Frau Luchsenbichler machte eine kleine, dramaturgische Pause, in der die neue, menschenfreundliche Kati der alten zähneknirschend recht gab. Vielleicht war Frau Luchsenbichler einsam, ja, nur war sie eben trotzdem eine rassistische alte Vettel.
»Aber jetzt hat er Baustellenverbot. Wir sind Ausländern gegenüber ja viel zu tolerant.«
Eva riss ihre Augen weit auf. »Der … Polier hat Baustellen- …?«
Frau Luchsenbichler nickte zufrieden. »Ich hab diesem Sozialschmarotzer gesagt, wenn er noch mal versucht, das Grundstück zu betreten, hat er eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch am Hals. Mein Motto ist ja immer, leben und leben lassen, aber das ist eine deutsche Straße, und hier herrscht noch Zucht und Ordnung. Man muss ja auch an die Schulkinder denken, die hier vorbeikommen.«
Wenn sie jetzt rücklings in die Baugrube fiel, so ganz aus Versehen, würde die Hochzeit ohne sie stattfinden müssen …
»Aber, Frau Luchsenbichler, Sie können doch nicht einfach …«, begann Eva, aber Frau Luchsenbichler fiel ihr ins Wort.
»Nein, Frau Wedekind, Sie brauchen mir nicht zu danken, ich weiß ja, das arme Robbemännlein kann sich um so etwas gerade nicht kümmern, wo er beruflich immer so eingespannt ist und auch schon genug mit der Hochzeit zu tun hat, und die Claudia, die hätte …«
Jetzt reichte es.
»Apropos Hochzeit«, sagte ich, ohne groß nachzudenken. »Da hat es einen schrecklichen Irrtum gegeben. Stellen Sie sich vor, wir haben einundvierzig Gäste zu viel eingeladen.«
Eva starrte mich entgeistert an. Frau Luchsenbichler ebenfalls.
»Das ist passiert, weil uns Friedlinde aus Versehen die Gästeliste für den siebzigsten Geburtstag von Robbemännleins Vater gegeben hat. Und darauf standen lauter Leute, die gar nicht zur Hochzeit kommen sollten. Der Männergesangsverein, zum Beispiel. Und Sie.«
»Ich?«, röchelte Frau Luchsenbichler.
»Das Gute ist, dass wir es noch rechtzeitig gemerkt haben«, sagte ich. »Denn so viele Leute passen ja gar nicht in den Saal! Eine Katastrophe. Sicher haben Sie sich schon gewundert, dass Sie eine Einladung erhalten haben. Wahrscheinlich haben Sie gedacht, die laden wohl auch jeden Hinz und Kunz ein.«
»Aber …«
Das Handy in meiner Tasche schrie: »Du hast eine SMS bekommen! Du hast eine SMS bekommen!« Mittlerweile hatte ich die nervende Kinderstimme lieben gelernt. Wie ein pawlowscher Hund reagierte ich auf das
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