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Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Titel: Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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die roten Locken aus dem Gesicht hielt, während ich mich darauf beschränkte, flach durch den Mund zu atmen und ihr den Rücken zu tätscheln.
    »Machst du so was öfter?«, erkundigte ich mich würgend.
    »Ständig«, erwiderte er und grinste mich über Marlenes Kopf hinweg an. »Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du noch eine Kleinigkeit mit mir essen gehen willst, aber du siehst gerade so aus, als wäre dir nicht danach.«
    Ich grinste ihn schwach an und versuchte, nicht ins Waschbecken zu sehen. Mannomann, das hier war an Romantik wirklich nicht mehr zu überbieten.
    »Jetzt würde ich gern irgendwo in Ruhe sterben, bitte«, sagte Marlene, als ihr Magen nichts mehr hergab und sie literweise kaltes Wasser über ihr Gesicht hatte laufen lassen.
    Ich sah Mathias an. »Ich bringe sie nach oben ins Bett. Vielleicht …« Ich verstummte. Und vielleicht bist du so nett und wartest auf mich, bis ich wiederkomme. Ich ziehe mich nur schnell um, putze mir die Zähne und schminke mich noch mal neu …
    Marlene hielt sich krampfhaft am Waschbecken fest.
    »Vielleicht helfe ich dir besser«, sagte Mathias, und sein Lächeln war so zauberhaft, dass ich mich ganz bestimmt auf der Stelle unsterblich in ihn verliebt hätte, wenn ich es nicht längst schon gewesen wäre.
    Gemeinsam lotsten wir Marlene zu den Fahrstühlen, ungeachtet ihrer Bitte, sie auf der Damentoilette sterben zu lassen.
    »Ich denke, du hast Angst vorm Aufzugfahren«, sagte Mathias zu mir.
    »Ja, stimmt.« Jetzt fiel es mir wieder ein. Ich litt ja unter erfundener Klaustrophobie. »Aber man darf sich von seinen Ängsten nicht bestimmen lassen …« Zumal nicht, wenn das Zimmer im verdammten fünften Stock liegt.
    »Ihr könnt mich einfach irgendwo ablegen«, murmelte Marlene. Sie hielt ihre Augen geschlossen und hing mittlerweile so schwer wie ein nasser Sack zwischen uns. Wir hievten sie mit Mühe in den Aufzug und lehnten sie dort in eine Ecke. Kurz bevor die Tür sich schloss, schob sich noch ein älteres Paar in die Kabine. Jetzt war es doch recht eng in dem kleinen Aufzug, und die Frau hatte dasselbe schreckliche Parfüm aufgetragen, das die DIE TANTE immer benutzte und das sofort wieder meinen Würgereiz reaktivierte. Wenn ich mich – außer vor Eichhörnchen und anderen Nagern – vor etwas fürchtete, dann war es Opium von Yves Saint-Laurent.
    Ich hielt die Luft an.
    »Soll ich dir mal was sagen?«, flüsterte Mathias nahe an meinem Ohr, als sich der Aufzug in Bewegung setzte. »Ich habe auch ein bisschen Angst in kleinen Räumen.«
    »Ach«, flüsterte ich erstickt zurück. Marlene war offenbar im Stehen eingeschlafen, denn sie gab ein leises Schnarchgeräusch von sich.
    »Weil – ich wette, das glaubst du mir jetzt nicht – aber meine Schwester hat mich als Kind auch mal im Schrank eingesperrt. Weshalb ich eigentlich immer die Treppe nehme …« Und genau als Mathias das sagte, gab es einen Ruck, und der Fahrstuhl blieb stehen. Mir blieb nichts anderes übrig, als wieder zu atmen.
    »Was war das denn jetzt?«, fragte die Opiumfrau, und Marlene schreckte aus ihrem Sekundenschlaf und öffnete ein Auge.
    »Wo bin ich?«, fragte sie.
    »Zwischen dem dritten und dem vierten Stock«, sagte der Mann der Opiumfrau und drückte wie wild auf den Knöpfen herum.
    Marlene schloss das Auge wieder. »Mir ist schlecht«, murmelte sie.
    »Wir sollten auf jeden Fall … Drücken Sie bitte den Alarmknopf«, sagte Mathias. Seine Stimme klang ein wenig belegt, und als ich ihn ansah, bemerkte ich, wie sich seine Pupillen unnatürlich vergrößerten. Der Arme! Da wagte er es, einmal mit einem Aufzug zu fahren, und dann blieb der auch gleich stecken.
    Unter anderen Umständen – also ohne Mathias’ Klaustrophobie, die Leute, die penetrante Opiumduftnote und Marlene, die jeden Moment wieder zu kotzen anfangen konnte – hätte es durchaus romantisch sein können, mit Mathias in einem Aufzug wie diesem festzustecken, mit seinen goldverspiegelten Wänden und dem weichen Licht.
    Aber so war es der reinste Albtraum.
    »Du musst keine Angst haben«, sagte Mathias zu mir, und seine Stimme klang noch ein wenig heiserer. »Hier kommt genug Sauerstoff rein … Und überhaupt kann gar nichts passieren … Aber wenn du möchtest, halte ich deine Hand.«
    »Oh bitte«, sagte ich und legte meine Hand in seine. Ich hatte den Eindruck, sie zitterte ein wenig. Als Nächstes würden sich sicher Schweißperlen auf seiner Stirn bilden, und dann würde er beginnen zu

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