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Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Titel: Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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automatisch auf.«
    Ja, das hätte er wohl gerne. Mit jedem Wort, das er von sich gab, wurden meine Vorbehalte Jürgen Wuck gegenüber nur noch schlimmer. Ich war mittlerweile bereit, jede beliebige Summe darauf zu wetten, dass er in seiner Schulzeit Würgen Juck genannt worden war.
    Jetzt nickte Würgen mir aufmunternd zu. Ich war an der Reihe. Und ich disponierte kurz entschlossen um.
    »Also, ich habe immer Panikattacken in Aufzügen«, sagte ich. »Ich kann überhaupt keine engen Räume ertragen, seit meine Schwester mich als Kind mal in unserem Kleiderschrank eingesperrt hat.« Wie erwartet sah Mathias eindeutig überrascht aus. Was mich wiederum mit Erleichterung erfüllte, weil ich kurzfristig befürchtet hatte, er könne mir gegenüber die Schrankgeschichte genauso erfunden haben wie jetzt die Weihnachtsmann-Story.
    Ich überlegte, wie ich mich wohl fühlen würde, wenn jemand einfach meine EICHHÖRNCHEN-Geschichte klauen und als seine ausgeben würde. Andererseits war die natürlich viel spezieller – in einen Schrank hingegen wurde ja eigentlich jeder im Laufe seines Lebens mal gesperrt. Oder wenigstens jeder Zweite. Ich bat Eva in Gedanken um Entschuldigung, bevor ich leise fortfuhr: »Sie ist zum Spielen rausgegangen und hat mich schlichtweg vergessen. Meine Eltern dachten, ich sei bei den Nachbarn, weshalb ich erst nach einem halben Tag wieder befreit wurde.«
    So. Damit konnte er nun anfangen, was er wollte. Im besten Fall würde er denken, eine Seelenverwandte gefunden zu haben, eine Schrankschwester im Geiste, sozusagen.
    Der Rest des Seminartags verging wie im Flug. Um es nicht direkt zu übertreiben, hatte ich mich Mathias nicht auch noch als Partner für alle kommenden Übungen aufgedrängt. Marlene war ohnehin die Einzige, mit der man Rollenspiele zum Thema Verhandlungen mit dem Chef realistisch nachspielen konnte, denn von den anderen konnte sich niemand vorstellen, wie die Blutgräfin wirklich war. Es machte aber großen Spaß, zur Abwechslung mal in Gabis Haut zu schlüpfen und alle Manipulationsversuche (»Es geht bei NLP nicht um Manipulation, es geht um emotionalen Kontakt!«, wiederholte Jürgen Wuck gebetsmühlenartig, aber davon wurde es auch nicht wahrer) an sich abprallen zu lassen. Wie im echten Leben gewann immer der, der Gabi spielte, und schließlich musste selbst Jürgen Wuck zugeben, dass es Menschen gibt, bei denen die Methoden von NLP an gewisse Grenzen stoßen.
     
    Wer den Feind umarmt, macht ihn bewegungsunfähig.
Nepalesisches Sprichwort
     
    Während der ganzen Zeit merkte ich, dass Mathias immer wieder mal zu mir hinübersah, und manchmal, wenn unsere Blicke sich trafen, riskierte ich ein winziges Lächeln, und dann lächelte er zurück.
    Mein Plan schien voll und ganz aufzugehen.
    Mathias hatte sich von ganz allein den Platz neben mir an der Bar ausgesucht (den ich allerdings wie zufällig frei gehalten hatte, indem ich meine Jacke dort ablegte). Und er war auch derjenige gewesen, der schon in den ersten Minuten unauffällig, geschickt und zielstrebig (NLP?) die persönlichen Eckdaten abgeklärt hatte, Alter, Beziehungsstatus, Wohnsitz, Job … Meine Antworten schienen ihm alle sehr zu gefallen. (Wobei mich die Frage nach meiner letzten Beziehung ein wenig ins Schwimmen gebracht hatte … der Mann vor Felix war schon ziemlich in Vergessenheit geraten.)
    Und inzwischen konnte ich ihm ganz unverhohlen in die Augen schauen, denn er tat auch nichts anderes. (Ich meine, er schaute natürlich in meine Augen.)
    Und alles, alles fühlte sich so richtig an.
    Man konnte toll mit ihm lästern und rumalbern (wir glaubten beide, dass Jürgen Wuck sich in Vollmondnächten mit Gleichgesinnten zum meditativen Trommeln traf), aber er besaß auch die Fähigkeit, genau zur richtigen Zeit den Mund zu halten und mich einfach nur anzulächeln, als wäre ich etwas ganz besonders Kostbares.
    Ich wusste, das hier war es, Komatraum hin, Komatraum her. Das hier war unser Moment – der von Mathias und mir. Magisch! Und dazu brauchte ich diesmal noch nicht einmal Geigen. Für einen Augenblick war ich mit meinem launischen Freund, dem Schicksal, wieder versöhnt. Es meinte es wohl doch gut mit …
    »Hicks«, machte Marlene und ließ sich auf den Barhocker neben mir plumpsen. Bis jetzt hatte sie mit ein paar anderen in einer Sofagruppe gesessen, von der ab und an Begriffe wie »Submodalitäten« und »autonome Augenbewegungen« zu uns hinübergewabert waren. »Ich hab da diesen Drink entdeckt,

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