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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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ihr Lehrer.
    Aber von da an war mir klar, dass ein Teil der Sympathie, die diese Schüler einem deutschen Lehrer entgegenbrachten, auf einem grausigen Missverständnis beruhte; sie wollten eine Kumpanei mit jenen unverbesserlichen Deutschen, zu denen ich auf keinen Fall gehörte und gehören wollte. Sie suchten das Einverständnis, das ihnen die RAF gewährte, als sich deren Mitglieder in palästinensischen Terorristenlagern ausbilden und zu antisemitischen Anschlägen anstiften ließen.
     
    Brilon, das aus der Bahnstation Brilon-Wald und dem in die Berge gebauten Brilon-Stadt bestand, dazwischen verkehrte ein Bus, war damals noch, bevor die Klimaerwärmung diesem Mittelgebirgsort wie vielen anderen den Winterschnee weggefressen hatte, ein Wintersportort und für Wochenendausflüge aus dem Ruhrgebiet wie geschaffen. Klein und idyllisch, ruhig und abgelegen, war es von den Ballungszentren aus leicht zu erreichen. So hatte auch der Besitzer eines mittleren Betriebs in Wuppertal hier ein bescheidenes Wochenendhaus, das seine achtzehnjährige Tochter und deren gleichaltrige Freundin, zwei hübsche junge, unbekümmerte und lebenslustige Mädchen auf der Suche nach kleinen Abenteuern, für das eine oder andere Herbstwochenende besuchten, wohl auch, weil es in Brilon die exotischen Ausländer des Goethe-Instituts gab, für die Mädchen eine angenehme Abwechslung und gleichzeitig auf kleinstem, unauffälligstem Weg eine Reise in die große Welt.
    Am Nachmittag im Café hatten sie in milder Herbstsonne einen kolumbianischen Studenten kennen gelernt und sich mit ihm und einem Freund, den er besorgen und mitbringen sollte, für Samstag Nachmittag in dem Wochenendhäuschen verabredet. Der Student, der mich, seinen gleichaltrigen Lehrer, mochte, auch weil er annahm, dass ich, ähnlich unkompliziert wie er, für ein solches Treffen Lust und Liebe hätte, nahm mich mit.
    Wir tranken mit den beiden Mädchen Kaffee, eine Flasche Wein und kamen in getrennten kleinen Zimmerchen schnell zur Sache. In dem ungeheizten Häuschen war es so kalt, dass unser Atem in der kalten Luft stand – wie Rauchfähnchen. Ich hatte die Tochter des Hausbesitzers gewonnen und weiß noch, dass ich das erste Mal mit einem Interruptus beendete (wie Onan im Alten Testament, nur ohne Wüstensand) und mir das Mädchen als zweites Mal eine Fellatio anbot, absolut verhütungssicher.
    Dann gingen wir wieder hinunter, wo auch der kolumbianische Student und die Freundin meiner Freundin schon saßen, wir tranken gemeinsam noch einen Kaffee und froren ein bisschen, so dass wir in unsere Hände hauchten, dann verabschiedeten wir uns und die beiden Mädchen fuhren wieder nach Wuppertal nach Hause. Die ungemütliche Kälte in dem seltsam kahl eingerichteten Ferienhaus, die Angst vor einer Schwangerschaft ließ unsere Leidenschaften schnell erkalten – es war wie eine Szene aus dem »Reigen« – nur mit Dialogen, an die ich keinerlei Erinnerung mehr habe.
     
    Während die Studenten kamen und gingen, gehörte ich in Brilon inzwischen zum fest stationierten Bodenpersonal und also schrieb mir mein Mädchen eine Karte: Sie wolle zum Schützenfest kommen und freue sich, mich wieder zu sehen. Ich war damals (damals?) ein ziemlich feiger Kerl und außerdem nicht in sie verliebt, also stellte ich mich tot, das heißt: Ich antwortete ihr einfach nicht. Ein Lehrer im katholischen, ja erzkatholischen Brilon, der mit einem Mädchen aus Wuppertal schläft, ja sich sogar dafür brieflich mit ihr verabredet, das geht doch nicht! Also Vogel Strauß, Kopf in den Sand, tot stellen. Das war die erste Feigheit.
    Das Schützenfest kam und das Mädchen aus Wuppertal kam und wir vom Goethe-Institut waren auch alle da, Lehrer und Schüler. Im Schützenfest-Haus wurde getrunken, gegessen, getanzt und wieder getrunken, und diejenige, deren Brief ich schnöde unbeantwortet gelassen hatte, tanzte mir mit einem Bekannten aus dem Dorf oder einer neuen Eroberung etwas vor und schien vor Glück ganz rotwangig selig. Und tat dabei so, als sehe sie mich nicht, aber ich meinte doch aus ihren Augenwinkeln triumphierende Blicke auf mich wahrzunehmen, verstohlen, versteht sich, so wie ich sie auch nur verstohlen anzusehen wagte.
    Ich stand geschützt, inmitten einer Gruppe südamerikanischer Studenten. Ich mochte ihren romanischen Witz, ihre an den USA geschulte Eleganz, ihre indianische Stoik, ihr kosmopolitisches Wesen (sie verstanden sich als Latinos, die alle Spanisch sprachen), es gab keine

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