Auf der Flucht
liebenswürdige Münchener Bonhomie ausstrahlte, zum Standesamt fuhren, musste sich meine künftige Frau unterwegs übergeben, sie war schwanger.
Als wir uns nämlich so »temperamentvoll« getrennt hatten – es sollte nicht die letzte und nicht die heftigste Trennung werden –, fingen wir an, uns heftig nacheinander zu sehnen (das hatten wir im Gefühlskino und Texten der Rancheros gelernt).
Sie saß weinend in ihrem Zimmer in dem Haus nahe der Flick-Villa in Düsseldorf-Meerbusch, in dessen Wohnzimmer ein echter Breughel hing, ein Gemälde von Winterfreuden, ich im Zimmer neben dem Stall mit den stampfenden Pferden. Ich lebte ganz ohne Winterfreuden, ich hatte keine Gefährtin mehr. Doch dann durfte sie mich, vom Chauffeur Fritz gebracht, besuchen. Und ich durfte mit Bus, Zug, Taxi von Brilon an Wochenenden nach Düsseldorf fahren, wo man mir freundlich Tee anbot, mich aber mit Marbella keinen Augenblick alleine ließ – am Abend musste ich mir in einer Pension ein Zimmer nehmen. Ich war der einzige Fußgänger in dieser Nobelsiedlung.
Und dann erhielt ich einen Brief von Marbella, auf Spanisch, den ich mir mühsam mit meinem Taschenwörterbuch übersetzte. An einer Stelle stieß ich auf das Wort »vino« und dachte an Wein, dann aber stellte sich heraus, dass es die Vergangenheitsform von kommen war. Etwas war »gekommen« beziehungsweise »nicht gekommen«. Und was »nicht gekommen« war, das war die Regel.
Daniel, er hieß nach seinem verstorbenen kolumbianisch-venezolanischen Großvater, kam in München »Rechts der Isar« zur Welt. Jetzt ist er Intendant in Kiel, seine Tochter, meine Enkelin, hat Züge aus dem schönen, dunkeläugigen Gesicht ihrer Stuttgarter Mutter und dem ihrer Großmutter, meiner ehemaligen Frau. Über den Großvater, nach dem Daniel heißt, erfuhr ich später, dass er sich jahrelang in seinem Zimmer vergraben und von der vielköpfigen Familie abgeschottet hatte, bevor er starb, ein Kolumbianer in Venezuela.
Als Daniel zwei Monate alt war, musste ich ihn und seine Mutter für einige Zeit im eingeschneiten Ebersberg allein lassen, in einer kleinen Wohnung zur Untermiete bei einer ledigen Frau, die voll boshafter Hilfsbereitschaft war und Marbella mit gesundem und krankem Misstrauen beäugte und umsorgte. Wieder hatte ich sie im Stich gelassen, wenn auch nur vorübergehend, als Vorhut der Familie auf dem Weg nach Stuttgart, wo ich beim Feuilleton angestellt worden war. Zunächst als Volontär – weil ein dreimonatiges Volontariat vorgeschrieben war – mit 700 Mark im Monat.
Ich wohnte wieder als »möblierter Herr« zur Untermiete und suchte eine Wohnung. Zunächst hatte mein Chef, Siegfried Melchinger, für mich ausgehandelt, dass ich als getrennt lebender Familienvater zusätzlich zu meinem Volontärsgehalt Zeilenhonorar für meine Artikel bekommen sollte. Doch diese Regelung bewährte sich nicht, denn es gab, wie es die Dame in der Buchhaltung ausdrückte, »böses Blut« bei den Kollegen, die, obwohl schon Redakteure, ja sogar Kulturredakteure, auf diese Weise weniger verdienten als ich. Wie in solchen Fällen üblich, wurden nicht deren Bezüge erhöht, sondern meine wieder auf das Volontärsgehalt zurückgestutzt.
Die Wochenenden verbrachte ich im verschneiten Ebersberg, der Neubau, in dem wir wohnten, lag über dem See und direkt gegenüber einer der scheußlichen Neubaukirchen der fünfziger Jahre. In der Nacht schrie mein Sohn und ruckelte mit dem Bett, indem er seinen Kopf gegen die Stirnwand stieß, immer wieder. Ich hätte aber auch sonst in der in wattigem Weiß versunkenen Stille nicht schlafen können, weil sich meine Kreditprobleme nachts ins schier Unendliche vergrößerten. Und am Sonntagmorgen, wenn wir endlich alle drei schliefen, zerschlugen die Glocken der Kirche den Schlummer. Ich habe, während ich mir die Decke über den Kopf zog, nicht einmal in Gedanken gewagt, das für ruhestörenden Lärm zu halten; schließlich war ich christlicher Abendländer und katholischer Familienvater.
Psycho
In Stuttgart wohnte ich in den ersten Jahren im Stadtteil Rohr, man fuhr mit der Straßenbahn hoch und noch über Stuttgart-Vaihingen hinaus, an der riesigen Leicht-Brauerei vorbei, deren Fabrikbrücke sich über die Straße spannte. Kurz vor der Endstation lag eine Neubausiedlung, zwei stöckige Gebäude, ich bekam in der Haeckerstraße in ei nem Neubau eine Eineinhalb-Zimmer-Souterrainwohnung, die als Büro geplant war und die mir der Besitzer ver mietete
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