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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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wenn wir für die Tagesschau – nach Inlandsmeldungen und Auslandsmeldungen, aber immerhin – einen aktuellen Bericht von der Buchmesse einzuklinken hatten, stand plötzlich und unerwartet der Fernsehdirektor des Hessischen Rundfunks neben uns und sah sich, vor der Ausstrahlung, den Buchmessenbeitrag an. Er wollte wohl verhindern, dass sich in den Bildern von Demos und Sprechchören von Demonstranten und der Ordnung, die in Form von martialisch verlegen dreinblickenden Polizisten auftrat, zeigte, dass die Staatsautorität an Macht verlor. Er war Repräsentant eines Systems, dessen Haupttugend und Hauptschwäche, »Gratismut« und »Gratisangst«, Enzensberger gerade polemisch analysiert hatte.
    Von der »Pinscher«-Schelte, die Ludwig Erhard, der Wirtschaftswunder-Vater, der nur ein schwacher Interimskanzler werden sollte, gegen Hochhuth und die Autoren der »Gruppe 47« richtete, bis zu den Terror-Akten aus dem Untergrund, den erpresserischen Entführungen, der Ermordung Schleyers (als die Forderungen nicht eingelöst wurden), den als »Exekutionen« deklarierten Mordanschlägen gegen Buback oder Ponto war ein langer, weiter Weg. Erst nach 1968 haben sich die Wege geschieden zwischen demonstrierender Apo (»Gewalt gegen Sachen«) und kriminellen Bandenanschlägen mit Toten auch unter Polizisten (»Gewalt gegen Menschen«).
    Ich beobachtete, mit einem Unbehagen, das wohl auch darin seinen Grund hatte, dass ich als etablierter Journalist eine bürgerliche Existenz zu verlieren hatte, wie dieser Schritt gemacht wurde. Um ein Terrorist oder auch nur ein Sympathisant der Terroristen zu sein, stand für mich einfach schon zu viel auf dem Spiel. Um ihn zu gehen, musste sich die RAF als Teil eines weltweiten kolonialen Aufstands in Drittweltländern gegen den Kolonialismus und US-Imperialismus deklarieren. Dabei ging sie ein Bündnis mit Guerillagruppen von Irland übers Baskenland bis nach Lateinamerika ein, vor allem aber mit den Palästinensern, deren Kopftuch (»Palästinenser-Feudel«) man als Markenzeichen trug, ähnlich wie den Roten Stern der kommunistischen Parteien. So wurde die deutsche Stadt-Guerilla zwangsläufig zum Verbündeten der palästinensischen Terroristen, auch wenn die Schiffe kaperten, Bombenanschläge verübten, Flugzeuge entführten und in die Luft sprengten. Verhängnisvoll war diese Allianz auch deshalb, weil die terroristischen RAF-Mitglieder, die aus Apo und Studentenprotest, aus Aufrüstungsgegnern und Straßenkämpfern hervorgegangen waren, ursprünglich auch eine ganz andere Wurzel hatten: die des Antifaschismus. Es waren die Söhne der Nazis und der Mitläufer, die Söhne der KZ-Schergen und vorübergehenden Eroberer Polens und Russlands, die gegen das Verschweigen der Verbrechen der Väter ihre Revolte angezettelt hatten – auch im Schatten des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, der die Verbrechen des Völkermords Fall für Fall benannte und die Verbrecher anklagte, Sadisten, Schergen, Handlanger einer mörderischen Rassenideologie. Und ihre Verbindungen zu einer das Unrecht ausbeutenden Industrie. Die Öffentlichkeit erfuhr zum ersten Mal von der Versklavung der Zwangsarbeiter – zum Beispiel in der »Ermittlung« von Peter Weiss.
    Die Empörung der Jungen richtete sich gegen die Kontinuität (die wirkliche wie die scheinbare) vom »Dritten Reich« zur Adenauer-Republik. War nicht Globke, der Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, Adenauers Staatssekretär im Kanzleramt, der Mann am Schalthebel der Macht? War nicht Heinrich Lübke, der Bundespräsident, angeblich als Baumeister an Konzentrationslagern beteiligt? Und Filbinger Kriegsrichter der Marine?
    Manches, was uns damals empörte, hat sich inzwischen als die Fakten verschärfende Inszenierung der DDR-Propaganda herausgestellt, die nicht zögerte, auch mit Fälschungen zu arbeiten, um beispielsweise Lübke mit den KZ-Bauten in Verbindung zu bringen. Die Verantwortlichen in der DDR waren mit allen Mitteln darum bemüht, die Bundesrepublik als Nachfolgestaat des Dritten Reichs darzustellen, dessen Repräsentanten ehemalige Nazis waren. Die Motive sind klar. Die DDR wollte als das bessere Deutschland angesehen werden. Es ging um den Ruf in der Welt.
    Dennoch, der Abscheu und der Zorn der jungen Revolte gegen diese zumindest laxe Haltung des neuen Staates gegen die Handlanger des alten hätte damals, Ende der sechziger Jahre, alle guten Gründe und vor allem die Moral auf ihrer Seite gehabt. Hätte! Wäre nicht im »Kampf« gegen

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