Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
dicker schwarzer Hose, schwarzer Jacke mit langen Ärmeln und einer ebenso schwarzen Mütze mit Ohrenklappen. Alle anderen sind schon lange weg, ich bin immer der letzte. Heute gefällt mir gar nichts. Ich träume vom letzten Jahr auf dem Camino del Norte, der mich durch frische, kühle, grüne Landschaft hoch über dem tiefblauen schäumenden Meer der Biscaya führte, mit faszinierenden Blicken in die tiefen Rías auf die kleinen, roten Hafenstädtchen und die in der Brandung dümpelnden Boote. Ich frage mich, was ich hier soll in dieser langweiligen, heißen, vertrockneten Landschaft mit den rostigen Zäunen und den blöden, glotzenden Kühen, vier Stunden auf der endlosen Teerstraße mit müden Knochen und schmerzendem Rücken. Warum muß ich nur diese Via de la Plata gehen - von wegen Silberstraße - da waren ja die Kuhpfade in Galicien erfrischender und interessanter.
Ich sehne mich nach dem kühlen Wind vom Meer, dem Geruch nach Seetang und kaltem Wasser, dem Kreischen der Möven und dem Blick auf die brandende See. Sehnsucht habe ich nach meinem romantischen Küstenweg, nach dem Auf und Ab durch die grünen Farnwälder. Ich wäre lieber 1000 Kilometer weiter oben im Norden.
Dieser Weg hier ist anders als die anderen Jakobswege. Er hat nichts Mystisches, nichts Religiöses, nicht Geheimnisvolles. Es ist ein Weg durch die Leere. Man geht von einem Ort fort und kommt an einem anderen Ort an und dazwischen ist nichts als Leere. Gleißende Helle und enlose Leere. Es fehlen die geheimnisvollen moosigen Wälder des Nordens, das mystische Halbdunkel der farnüberwucherten Wege, die kleinen Kapellchen am Wegrand, die einen an Menschen erinnern, an Zufluchten in der Wildnis, die einen trösten könnten. Es fehlt der Jakobskult, die Erinnerung an die Millionen von Pilgern, die auf der Suche nach Erlösung den Weg gegangen sind in ihren härenen Kutten und den sandalengeschnürten Füßen.
Dieser Weg hat eine andere Geschichte, die der römischen Kohorten auf schnaubenden Pferden mit Schwerterklingen und fröhlichem Wiehern, die der knarrenden Karren, die auf breiten, gepflasterten Straßen die Erze des Nordens nach Rom transportierten, die der finsteren Heere der Mauren, die das Land eroberten für ihren Glauben und doch zurückgeschlagen wurden von den christlichen Heeren der spanischen Könige. Dieses Land ist hart und es ist Kampf, und die Pilger kamen erst nach den Kriegern. Im Norden war nie Kampf, da war die christliche Gläubigkeit, die Sehnsucht der Armen, die Jenseitssuche.
Jetzt weiß ich, was mir hier fehlt, trotz aller Großartigkeit, Weite, Pracht. Es sind nicht die kühlen Wälder, das blaue Meer, die dunstigen Täler, es ist dieses Jenseitige, dieses Suchende, dieses Mystische, Spirituelle, diese Versenkung in den Glauben an den Heiligen, der allüberall am Wege präsent ist, in den Kirchen, den Klöstern, den Städten, die seinen Namen tragen. Jene Wege des Nordens sind immer europäische Wege gewesen, auf denen die Völker Europas unterwegs waren. Dieser Weg ist ein zutiefst spanischer Weg, auf dem nur die Spanier gingen. Vielleicht ist es die jenseitsgewandte Mystik des Nordens, das Germanische, die jenen Weg so unterscheidet von der diesseitigen Realität des Südens, des Romanischen. Santiago ist dort oben überall, hier ist er nirgends.
Ich öffne die Augen, ich bin jetzt im Süden, in Andalusien, der Weg ist mein Ziel, auch wenn die Straße so gar keine Freude macht. Nur zu, nur durch, oft muß man leiden auf Jakobs Wegen. Am frühen Nachmittag bin ich schon in El Real de la Jara, einem Straßendorf ohne erkennbare Mitte. Weiße kleine Häuschen an endloser Straße. Zwei Bars haben geöffnet, sonst ist alles bis um halb sieben geschlossen.
In El Real gibt es keine Herberge, ich komme in einer Privatpension unter, Casa Molina, wo alles vor Sauberkeit glänzt und spiegelt. Die Einrichtung ist aufgestellt und geordnet wie im Museum, die alten Sessel, der Tisch mit der gehäkelten Decke und den geschwungenen Löwenfüßen, vollgestellt mit Familienbildern und Glasväschen. Die Familie isst im Nebenraum am Tisch vor laufendem Fernseher. Der Hof ist ein Abfallhaufen. Gerümpel, Wäscheleinen, verrostete Gartenstühle.
An der Kirche lese ich an einer Wand: „Gaudeamus igitur, juvenes dum sumus“ – das alte Studentenlied der Burschenschaften. Darunter drei rote Stierköpfe. Die Straße heißt Avemaría. Auf die Frage nach einem Restaurant weist man mich in ein Industriegebiet vor der Stadt, wo
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