Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
unter den Bäumen in paradiesischer Unschuld. Die Landschaft ändert sich. Der Weg führt nun wieder bergab in das Becken des Guadiana. Ab dem Mittag weite, endlose Hügel bis zum Horizont mit Wiesen und Kornfeldern. Das Gras wird gelber, die Bäume verschwinden. Die Extremadura beginnt. Extremadura bedeutet: Die extreme Härte, der wohl ausgedörrteste, gnadenloseste Teil Spaniens. Die Sonne knallt mit 35 Grad vom tiefblauen, wolkenlosen Himmel. Der Weg windet sich gelb und staubig durch die Hügel. Die Felder haben die unterschiedlichsten Farben: von lindgrün über saftgrün zu maisgelb, hellgelb und sienabraun, eine Komposition mit fast impressionistischen Pinselstrichen. Auf einigen sprießt zartgrün die frische Saat aus der rostroten Scholle, andere stehen schon weißgelb in voller Frucht, wieder andere liegen trocken und ungepflügt rotbraun in den Mulden. Ein Flickenteppich in den verschiedensten Nuancen wellt sich über die rollenden Hügel, in den Tälern stehen noch die dunklen Tupfer der letzten Bäume. Wuff mit seinem roten Tuch auf dem Kopf überholt mich, wir laufen einige 100 Meter zusammen. Er geht schneller, läßt mich mit seinen strammen Offiziersschritten zurück, wir werden uns ja heute Abend wiedersehen. Die anderen sind schon voraus.
Mir ist so richtig gut ums Herz. Ich spüre keine Schmerzen, keine Sorgen heute, habe meinen Rhythmus gefunden, habe diesen heißen Weg angenommen, nicht mehr Sehnsucht nach dem Camino del Norte, Via de la Plata heißt mein Weg, den will ich gehen. Unter einem alten Olivenbaum mache ich meine Mittagsrast. Der Bach führt kaum noch Wasser, das Schilf steht hoch und grün. Ich tauche, sinke tief in die Ähren unter dem alten Baum mit seinem jahrhunderte alten Stamm. Der Himmel blaut über mir, die Federwolken ziehen lautlos von West nach Ost. Der Wind zittert in den Pappeln, Grillen zirpen in den Gräsern, Käfer krabbeln neben mir in den Stängeln. Fliegen summen, Vögeln zwitschern und klagen irgendwo in den Blättern. Alles bewegt sich, zirpt und rauscht. Die Natur singt ihr endloses, ewiges Lied. Pilger gehen auf dem nahen Weg vorbei. Sie sehen mich nicht, die Natur umhüllt mich in ihrem Frieden. Der Rotwein macht mich leicht, das Mahl war köstlich, die Reste liegen im Gras verstreut. Ich lasse die Spur des zerdrückten Grases zurück. Morgen bin ich nicht mehr hier gewesen.
Dies ist das erste Picknick in der Stille der Natur. Bisher war ich immer von Schnellstraßen und deren infernalischem Lärm umgeben. Ich richte mir immer eine kleine „Bar“ ein. Meine beiden Wanderschuhe stehen neben mir, in die ich rechts den Wein und links das Wasser stelle. So kann mir nichts umfallen oder wegrutschen.
Die anderen, die schnellen, hetzen vorbei, schauen nicht rechts, schauen nicht links, so gehen sie achtlos an den Schönheiten des Weges vorüber, in die ich versinke. Mir ist dies ein heiliger Weg – Jakobs Weg – so wie es all die anderen waren in den vergangenen Jahren, in den französischen Cevennen, den Pyrenäen, der weglosen Meseta Kastiliens und den feuchten Wäldern Galiciens, den schwülen Urwäldern Kantabriens und den rauschenden Stränden Asturiens. Ich tauche ein in diese Wege und ich versinke in ihnen – pilgern auf dem Himmelspfad. Pilgern bedeutet innere Immigration, der Weg wird immer rückwärtsgewandter.
Heute Abend übernachte ich im ehrwürdigen Convento San Diego in Fuente de Cantos. Es wurde sehr geschmackvoll in eine moderne Herberge umgewandelt. Man ißt in dem alten Refektorium unter weiß gekalkten Gewölben, an langen Holztischen. Am Kopfende eine Bar, deren Abdeckung eine alte Granitplatte aus einer Küche ist. Dahinter führt eine weiße Treppe ohne Geländer nach oben. Der ganze Saal ist liebevoll mit religiösen Versatzstücken dekoriert, vom Taufbecken aus rosa Marmor über die schmiedeeisernen Leuchter mit armdicken Altarkerzen bis zum Kardinalsstuhl in rotem Samt. Auch ein Betstuhl ist zu sehen, dessen Sitz man hochklappen kann, um davor auf einem kleinen mit Samt belegten Bänkchen zu knien und zu beten.
Wir schlafen in zwei Dormitorien über dem Refektorium, wo die Stockbetten längs der Wand stehen, wie wohl früher die Betten der Mönche. Vor die alten Klostermauern hat man einen verglasten zweigeschossigen Gang mit Holzfußboden auf einem Stahlgerüst gestellt, die Glasscheiben gegen die Sonne mit Holzlamellen geschützt. Die spanische Moderne der Einfachheit. Welch ein Gegensatz: gestern noch die lärmende
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