Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
bereits auf der Terrasse sitzt, sein Brandyglas in der Hand. Er sitzt allein und träumt vor sich hin in den verdämmernden Nachmittag. Dann erzählt er mir seine Geschichte. Er hat einen Herzschrittmacher und zeigt mir den Schnitt in der Brust, wo er eingepflanzt wurde. Er ist seit langem herzkrank, zu 100 % erwerbsunfähig und weiß, daß er nur noch einige Jahre zu leben hat. Nun verstehe ich so einiges, worüber ich gestern geschrieben habe, besser, seinen Zynismus zum Beispiel, und verzeihe ihm. Jeder Mensch hat sein Schicksal und ist geprägt von ihm. Man muß es nur kennen.
Nach dem gemeinsamen Abendessen besuchen wir in der Kirche die Ausstellung über den Maler Zurbarán, der 1598 in Fuente de Campos geboren wurde und 1644 in Madrid starb. Er war einer der größten spanischen Barockmaler und besonders berühmt für seine Halbdunkel-Malerei und seine Stilleben. Er hat vornehmlich religiöse Szenen gemalt und paßte mit seinen verzückten Heiligen so recht in die Zeit der Inquisition. Das Schönste für mich sind die zarten, feinen Stilleben in seinen Bildern, die Krüge, Töpfe und Vasen, die von einer noch nie gesehenen Naturtreue sind. Danach sitzen wir fünf Deutsche noch lange im lauen Abendwind auf der Terrasse in den Regiestühlen, philosophieren und reden über den Weg. Ein dünner Mond steigt über die fernen Hügel vom Türkis ins Nachtblau, an dem bald im Schwarz die Millionen Sterne funkeln.
Zafra
Freitag, der 12. Mai, von Fuente de Cantos
nach Zafra, 25,4 Kilometer,
gesamt 154,3 Kilometer
7. Wandertag
Heute ist der erste wirklich harte Tag der Extremadura. Endlose, staubige, breite Pisten durch endlose Weizenfelder. Das Land ist hügelig und eintönig. Die lauschigen Steineichenwäldchen sind verschwunden. Die Piste windet sich in weiten Schwüngen von Hügel zu Hügel und taucht dazwischen in sanfte Täler ab. Den ganzen Tag gibt es kein einziges Dorf, auch keine Landstraße oder sonstige Anzeichen menschlicher Gegenwart. Ab und an liegt ein Bauernhof an der Piste, einfache weiß gestrichene industrielle Anlagen mit fensterlosen Ställen, rot gestrichenen Silos und einem bescheidenem Wohnhaus. In den Ställen stehen Schweine, deren Grunzen und Quieken man schon von weitem hört. Ein infernalischer Gestank nach Gülle liegt über dem Land, vor den Ställen sind schlammige Ausläufe, in denen sich dreckverkrustete, braune Schweine suhlen und mit den Schnauzen nach Eßbarem wühlen.
Das sind nicht mehr die flinken Patas Negras aus dem Hochland, die unter den Eichen auf den Wiesen herumstreunen. Das sind Zuchtschweine, die in den Ställen gehalten und zur Schlachtreife gemästet werden. Mit zugekniffener Nase eile ich aus dem Dunstkreis des Gestanks weiter in die gelben Felder. Pfui, das ist nicht mehr das Paradies von vorgestern in den grünen Hügeln der Sierra Morena.
Jakob schickt mir heute den einzigen Baum des Tages über den Weg. Auf gelber, strohiger Wiese lasse ich mich im Schatten nieder. Martin und Anja kommen vorbei, neiden mir meinen Baum und fotografieren mich mit meiner Rotweinflasche. Um vier Uhr nachmittags bin ich ziemlich fertig. Doch bald ist die Herberge von Puebla de Sancho Pérez in Sicht, in der Ermitá de Belén, einem weißen Kloster mit romantischem Innenhof. Doch leider ist alles zu. An der verstaubten Tür hängt ein Zettel mit einer Telefonnummer.
Doch ohne Handy kann ich nicht anrufen, eine Telefonzelle gibt es nicht. Nach den blinden Fenstern und dem Unrat vor der Tür ist die Herberge schon längere Zeit geschlossen. Von den anderen Pilgern ist auch niemand zu sehen. Sonst stehen immer die Schuhe vor der Tür und die Wäsche hängt auf der Leine. Vor den Mauern unter den schattigen Platanen sind Zelte aufgebaut. Morgen feiert man San Isidro, einen spanischen Nationalheiligen, dessen Geburtstag das ganze Wochenende über begangen wird. Ich frage einen Mann in einem der Zelte, doch er weiß keinen Bescheid über die Herberge. Er bemerkt aber meine leere Weinflasche, zieht sie aus dem Rucksack und bringt sie mir gefüllt zurück. Dies sei sein eigener Wein und er sei gut. „Con pan y vino, se anda el camino“ – lacht er dazu, das alte Sprichwort aus dem Mittelalter.
Also stapfe ich die fünf Kilometer mißmutig und erschöpft bis nach Zafra weiter, an einer Bahnanlage vorbei, über deren rostige Geleise ein Schäfer seine Herde treibt, die endlose Bahnhofstraße entlang mit Auto- und Möbelhäusern, durchquere wie üblich die halbe Stadt und werde dann
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