Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
Primitivität unserer modernen Welt, heute der romantische Frieden der klösterlichen Geborgenheit.
Um acht Uhr essen wir alle gemeinsam an dem langen Tisch in der kühlen, weißen Halle. Dicke Kerzen flackern auf schwarzen Kandelabern. Wir sind heute eine Gruppe von Neun: die vier Deutschen Anja, Martin, Wuff und Rolonso, Hans und Marie, Max, der Italiener, eine Französin aus den Cevennen bei Le Puy und zwei Spanierinnen – eine ist aus Teneriffa, die im Sommer auf Ibiza arbeitet. Max redet wieder mit Händen und Füßen auf Italienisch auf die Spanierinnen ein, die reden in Spanisch, verstehen aber Maxens Italienisch und amüsieren sich köstlich über seine Späße, sie verstehen sich ohne Probleme. Nur die einfachen Deutschen verstehen wie immer kein Wort Spanisch oder Französisch. Da muß ich mal wieder aushelfen.
Max ist heute Morgen um sieben Uhr von der Guardia Civil auf Motorrädern aus seinem Zelt geholt worden, das er wie gewöhnlich am Wegesrand aufgestellt hat, seine Papiere wurden per Funk mit der Zentrale kontrolliert. Wenn er auch mit seinem Rauschebart höchstverdächtig wie ein Terrorist aussieht, so ist er doch ein herzensguter, einfacher Mensch voller Gefühle und italienischer Lebendigkeit. Heute gibt es ein feines Essen: frischer Ziegenkäse mit Quittengelee, eine Lauchsuppe mit gelben Karotten, Fleischbällchen mit Salat aus roten Möhren, Rotkohl und Weißkohl, eine Stange Spargel und eine Kugel Reis. Zum Dessert Flam mit Zimt in einer braunen Steingutschale. Dazu perlt leise andalusische Zigeunermusik durch den Raum. Das Mysterium des Weges beginnt.
Mit einem großen Glas Carlos Tercero und einem Café setzen wir uns um neun Uhr auf die noch warme Terrasse. Die Sonne geht glutrot hinter den grünen Hügeln unter. Die Mauersegler lärmen über unseren Köpfen. Wir reden wieder in vier Sprachen. Rolonso mit seinem langen, gewellten Haar ist so ein Linksintellektueller, der ständig mit einem gefüllten Brandyglas herumläuft, kaputte Füße hat und alles negativ kritisiert.
Die bekannten Sozisprüche: Alle Menschen sind gleich und frei und es darf keine Armut geben und die Reichen sollen alles hergeben und wir alle armen und verfolgten Menschen der Welt bei uns in Deutschland aufnehmen. Die Menschenrechte, die Würde des Menschen usw. Aber er ist nicht unangenehm. Er ist so ein Zyniker, der ständig neben sich steht. Einer, der ohne Ziel durchs Leben geht, ohne Beruf, ohne Arbeit, der ewige Student.
Es wird spät an diesem Abend, langsam verabschieden wir uns, morgen gehen alle weiter. Nur die vier Deutschen und ich bleiben, wir wollen einen Ruhetag einlegen an diesem schönen, sympatischen Ort. Ob wir die anderen wiedersehen werden?
Rolonso
Donnerstag, der 11. Mai, Fuente de Cantos
Ruhetag
Trotz des angenehmen, ruhigen, friedlichen Ortes habe ich heute Nacht nicht gut geschlafen. Leicht, oberflächlich. War es das sich Fallen Lassen nach den Anstrengungen der letzten Tage? Oder die aufwühlenden Gespräche des vergangenen Abends und die zwei Glas Brandy? Um neun Uhr gehe ich erst einmal in den Ort zum Einkaufen. Verpflegung für unterwegs für den morgigen Tag. In der Apotheke am Kirchplatz kaufe ich einen Stützstrumpf gegen meine Zerrung und eine Voltaren Creme. Noch nie habe ich so etwas getragen, man wird halt doch ein bißchen älter, und wenn es hilft, die Schmerzen zu lindern? Tapfer trage ich die weiße Binde an meinem braunen, nackten Bein. Jakobspilger!
Mittags setze ich mich auf die Terrasse in die weinroten Regiestühle unter die kleinen Olivenbäumchen, die etwas Schatten spenden, und nehme, wie immer, mein karges Mittagsmahl zu mir, heute verfeinert mit einer Dose grüner Oliven – hier Aceitunas genannt. Ich schreibe Tagebuch und beobachte die neu ankommenden Pilger. Wieviel dicke und häßliche Menschen es doch gibt! Besonders die Amerikaner mit ihren krebsroten, langen Beinen und den kurzen Hosen. Trotzdem wandern sie Jakobswege. Complimenti! Heute sind viel weniger Pilger hier als gestern. Ab drei verziehe ich mich ins kühle Dormitorium zu einem Mittgsschläfchen, es wird draußen zu heiß.
Ich schlafe gut und tief und hole das nach, was ich heute Nacht versäumt habe. Nun kommt doch eine lähmende Gleichgültigkeit auf, in die ich langsam versinke. Das Pilgergefühl, das ich seit Tagen vermißt habe. Ich habe meinen Weg angenommen. Ab sechs Uhr kommt ein starker, kühler Wind auf, der die Olivenbäumchen biegt.
Ich komme mit Rolonso ins Gespräch, der
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