Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
– wieder meine vier Freunde treffe, die mich sogleich mit Hallo begrüßen.
Wir essen erst mal zu Mittag, dann suchen Wuff und ich die Pilgerherberge, die wir nach einigem Fragen in einer alten Mühle romantisch am Fluß finden. Unter ihren Gewölben fließt ein Seitenarm des Guadiana durch, der früher wohl ein Mühlrad antrieb. Wuff hat den Tipp von einem anderen Pilger erhalten, sonst wären wir nämlich die 2,6 Kilometer aus der Stadt zu der Herberge gelaufen, die mein Führer angibt. Ich belege fünf Betten, aber dann schlafen nur er und Rolonso hier, Anja und Martin haben ein Hotel genommen.
Am Nachmittag gehe ich dann zur Alcazaba und bin beeindruckt von diesem Über- und Nebeneinander von römischer, maurischer und christlicher Architektur.
Hier treffen die drei Kulturen des Abendlandes aufeinander, in Zeitschichten übereinander liegend und doch sich durchdringend und beeinflussend. Ich finde eine römische gewölbte Straße aus den mächtigen Quadersteinen, die ich schon in Itálica sah, daneben die Grundmauern der römischen Villen, geborstene Säulentrommeln, Kapitelle im Sand liegend. Ich besichtige die Aljibe, ein merkwürdiges Bauwerk, in dem zwei steile Treppen nach unten unter das Niveau des Flusses führen, dessen dunkle Wasser in einem bemoosten Becken dümpeln, früher gedacht als natürliches Wasserreservoir während einer Belagerung.
Über all den Trümmern steht triumphierend das Conventual Santiaguista – das Santiagokloster – das 1229 nach der Reconquista, der Vertreibung der Mauren aus den Mauern der Stadt, vom Orden des Santiago als Zeichen des christlichen Sieges über die Ungläubigen errichtet wurde.
Überall in dieser Stadt, an jeder Ecke durchdringen und überlagern sich die drei großen Kulturen Spaniens, die römische, die arabische und die christliche. Und darüber, alles überbauend, lagert die moderne Stadt des 20. Jahrhunderts. Ähnliches sah ich nie auf meinen Reisen, vielleicht in Rom, wobei dort die arabische Komponente fehlt.
Das spanische Rom
Dienstag, der 16. Mai, Mérida
Ruhetag
Gestern Abend aßen wir fünf noch gemeinsam Pizza in einem italienischen Restaurant und italienischen Kellnern. Die Italiener sind eben überall. Heute Morgen fahre ich erst einmal mit dem Bus ins Krankenhaus. Ich muß meinen kleinen Zeh verarzten lassen. Empfang wie bei uns, internationale Versichertenkarte vorgelegt, warten mit anderen Spaniern. Dann ruft man mich auf: „Señor Piter, venga!“ Mit etwas Beklemmung betrete ich das Untersuchungszimmer, ich befürchte eine Vereiterung. Nichts desgleichen, es ist nur eine Entzündung unter einem Hühnerauge. Nichts muß betäubt, nichts geschnitten werden, die Ärztin ist sichtlich enttäuscht, daß ich wegen einer solchen Kleinigkeit ins Krankenhaus komme. Ich auch, hatte ich doch eine größere Operation erwartet. Aber erleichtert bin ich schon. Ein Pulver gegen Entzündung und dreimal täglich in Salzlösung baden. Wie soll ich das wohl machen in der Steppe? Gleich kaufe ich mir ein großes Paket Kochsalz und zeige dem Wärter in der Herberge den Untersuchungsschein des Krankenhauses. Damit darf ich nämlich eine zweite Nacht in der Herberge bleiben, während man normalerweise nur eine Nacht bleiben darf. „Estoy enfermo“ sage ich stolz und darf bleiben. Wuff auch, er fragt erst gar nicht.
Später besichtige ich die Hauptsehenswürdigkeiten Méridas, das Amphitheater und das römische Theater. Beide liegen nebeneinander, das eine oval, das andere halbrund, die Ränge geschickt in einen Hügel gebaut. Das Amphitheater ist ähnlich groß wie in Itálica, aber nur für 14.000 Zuschauer, jedoch besser erhalten, mit scharf geschnittenen Sitzreihen, erbaut 8 v. Chr. Das Theater ist eines der besterhaltenen römischen Theater, erbaut 16-15 v. Chr. von Marcus Agrippa, dem Schwiegersohn des Augustus.
Noch gänzlich erhalten ist die Frons Scaenae, die Bühnenwand, eine zweigeschossige Kolonnade mit 32 Marmorsäulen. Zwischen den Säulen stehen die Figuren der römischen und griechischen Theaterwelt mit wallenden Steingewändern und gelockten Haaren. Mich überwältigt noch nach 2000 Jahren die Größe und imperiale Geste eines Weltreiches, das einst das ganze Mittelmeer beherrschte. Alles ist hier gewaltig und von übermenschlicher Größe. Klein wie bunte Zwerglein streifen die Touristen in ihrer Freizeitkleidung um die gewaltigen Quader und inszenieren ihr eigenes Theater, lachend, feixend, Witze reißend, sich ständig vor den
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