Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
im Innenhof. Das Auto hat flache Reifen und ein Fenster mit zersplitterter Scheibe. Jetzt wird mir klar, diese Herberge ist so verlassen wie die gestern in Puebla. Ich bin so fertig und sauer, daß ich vor Zorn an das Tor pinkele. Der Hund wittert, ob Männchen oder Weibchen. Nun muß ich noch 6,8 Kilometer durch die größte Hitze des Nachmittags nach Villafranca gehen. Jetzt rächt es sich, daß ich so spät erst losgegangen bin.
Über die verrosteten Geleise einer Eisenbahn, unter einer Schnellstraße hindurch, dann ist der Weg durch einen Drahtzaun versperrt, obschon rechts und links an verrosteten Pfosten gelbe Pfeile den Weg weiterweisen. Da muß ich drüber, erst den Rucksack über den Zaun, dann klettere ich selber nach. Auf der anderen Seite feiern die Spanier San Isidro an der Kapelle des Heiligen mit Zelten, Lärmen und Fröhlichkeit. Gern wäre ich dabei, doch es ist zu spät, ich muß in die Herberge. Die Piste ist gnadenlos, alles ist vollgestellt mit Autos, verwundert schauen die Spanier mich verschwitzten, bepackten Gesellen an, der in die falsche Richtung läuft. „Feier mit uns“, rufen sie mir zu. Wenn ich jetzt bleibe, komme ich nicht mehr weg. Ich kenne diese spanischen Feste. Vor den Häusern sitzen die Leute und feiern in ihren Höfen.
Am Ortseingang breche ich fast zusammen. Keuchend sitze ich auf der Mauer vor einer Kapelle und trinke den letzten Schluck lauwarmen Wassers. Der Ort ist ebenso tot wie die Herberge. Alles feiert San Isidro, der Ort ist verschlossen. Der einzige Mann, den ich treffe, weist mir den Weg zu einer Bar, die sich zu meiner großen Überraschung als moderne Cafeteria mit Hotel herausstellt. Ein Bier, eine Cola, ein Eis, dann frage ich nach einem Zimmer. Für 30 Euro kann ich eins bekommen. Ich frage nach vier Deutschen. Es seien aber nur zwei Deutsche da, bekomme ich zur Antwort.
Das Hotel ist elegant, das hätte ich in diesem lausigen, toten Ort nicht erwartet. Ein Aufzug aus Edelstahl fährt mich in eine Halle unter dem Dach mit Glasoberlichtern, poliertem Marmorfußboden, Kristalleuchtern und weißen Ledersofas, als gebe es gleich einen großen Empfang. Das Zimmer ist ebenso elegant, ich schmeiße meine staubigen Stiefel in die Ecke, den Rucksack auf den gefliesten Boden.
Schon wieder hat Santiago es gut gefügt. Ich muß ihm nur vertrauen. Er hält mich, er läßt mich nicht fallen. Er weiß den Weg, er hat für alles gesorgt. Es ist ja sein Weg, auf dem ich wandere, zu ihm will ich gehen, er erwartet mich am Ende in Santiago, also behütet er mich auf dem Weg zu ihm, so wie er die Millionen vor mir behütet hat. Jakobsbruder zu sein ist wie eine Reiseversicherung, es ist für alles gesorgt. Man muß nur vertrauen, an den Heiligen glauben, dann wird alles gut und alles wird gelingen. Warum bin ich oft nur so ungeduldig und so mißtrauisch? Ich kann mich noch immer nicht ganz fallenlassen in seine Arme, nach 2.500 Kilometern auf seinen Wegen. Jakob, gib mir Gottvertrauen!
Als ich die Tür öffne, um zum Essen zu gehen, stehen in der gegenüberliegenden Tür Martin und Anja. Es waren also doch die beiden Deutschen. Wuff und Rolonso schlafen auf einer Wiese am Ortseingang, ihnen war das Hotel zu teuer. Froh, uns wieder gefunden zu haben, gehen wir zusammen zu einer Plaza an einer kleinen, weißen Kirche, wo die wenigen Bewohner des Ortes, die nicht San Isidro feiern, sitzen und essen. Wuff und Rolonso sind schon da, es gibt sonst kein Restaurant im Ort, das heute geöffnet hat. Also essen wir alle einen großen Salat mit Eiern und Thunfisch. Rolonso trinkt heute sechs Brandys, je mehr er trinkt, desto mehr lacht er und wird ein glückliches Kind.
Ich bewundere wieder die edlen, weißen Häuser in den gepflegten Straßen mit den vornehmen, schwarzen Gittern. Erstaunlich ist die steppenartige Wildnis draußen und die blitzblanken, weißen Städtchen, die man ohne Übergang betritt. Eben noch die staubige, rote Piste, ein Tor durch eine weiße Mauer und man betritt die Zivilisation der gepflegten Stadt. Ähnlich muß es bei uns im Mittelalter gewesen sein, wenn man sich die alten Stiche ansieht, wo die Städte unvermittelt in der wilden Landschaft lagen.
Extremadura
Sonntag, der 14. Mai, von Villafranca de los Barros nach Torremagía, 28,7 Kilometer
Gesamt 196,1 Kilometer
9. Wandertag
Heute stehe ich wieder ganz früh auf um sechs Uhr. Wir haben uns in der Bar von gestern zum Frühstück verabredet. Es wird ein langer Tag, 28,7 Kilometer. Durch die
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