Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
bleiernen Hitze. Doch, oh Wunder, auch hier ist die Herberge in dem ehemaligen Adelspalast der Lastra aus dem 15. Jahrhundert untergebracht, hinter meterdicken weißen Mauern kühle Hallen unter schwarzbraunen Eichenbalken.
Jetzt bin ich wirklich in der Extremadura. Die Luft kocht. Der starke Wind kühlt nicht mehr. Der Himmel ist bleiern grau. Ich sitze mit einem eiskalten Bier tapfer unter roten Coca-Cola Schirmen, die im starken Wind flattern, vor der Bar Casablanca. Außer mir sitzt niemand draußen, alle Männer sind drinnen in der eisgekühlten Bar und schauen Stierkampf auf dem großen Flachbildschirm.
Die Nationalstraße zerschneidet den Ort, sie kommt schnurgerade aus den gelben Hügeln im Süden und verschwindet ebenso gerade in den gleichen Hügeln im Norden. Sie ist 50 Meter breit, beidseitig der Straße stehen bunt verputzte Häuschen wie Kulissen in einem Westernfilm aufgereiht. Und so heißen sie auch: Avalon, Casablanca, El Mesón. Die Autos parken rechtwinklig zur Straße, auf der ab und zu ein Wagen vorbeigefahren kommt.
Die neu gebaute Autobahn hat den ganzen Verkehr abgezogen, der vor einem Jahr noch durch den Ort rauschte. Die Telefonleitungen zerkratzen mit ihren schwarzen Strichen den orangegelben Abendhimmel. Der heiße Wind stürmt durch den Ort, die Jungen toben mit ihren Quads auf dicken Ballonreifen. Plastiktüten und Eisbecher wirbeln scheppernd über die Straße. Die Sonnenschirme knattern im Wind. Ein Typ stakst mit öligem, schwarzen Haar und offenem Hemd mit Goldkette auf der braunen Brust über die leere Straße. High Noon. Jetzt weiß ich, wo das herkommt.
Wir essen wieder alle drüben im Mesón, das ewig gleiche Menú del Peregrino für 7,50 Euro. Nachher sitzen wir noch mit Brandy und Zigarre auf dem Gehweg mit Blick auf die Straße, auf der nun nichts mehr passiert. Als ich in die Herberge komme, ist meine Hose weg. Ich hatte gewaschen und alles mit meinen Plastikklammern auf die Nylonschnüre vor die Herberge gehängt. Die Schnüre liegen auf dem Boden, der Wind hatte sie herabgerissen. Meine Wäsche liegt getrocknet auf dem Brunnen, die Klammern daneben. Jemand muß sie aufgesammelt haben. Nur die Hose kann ich nicht finden, trotz intensiven Suchens mit der Taschenlampe. Wuff vermißt seine auch. Ob es einen Hosendieb gibt?
Über die Römerbrücke
Montag, der 15. Mai, von Torremagía
nach Mérida, 15,6 Kilometer, gesamt 211,7 Kilometer
10. Wandertag
Auch heute Morgen ist die Hose nicht zu finden. Werde mir wohl in Mérida eine neue kaufen müssen. Wuffs Hose ist wieder aufgetaucht. Sie lag drinnen in der Halle. Ich laufe erst einmal in meiner anderen Hose, von der ich die unteren Hosenbeine mit einem Reißverschluß ablösen kann. Erst geht es wieder einige Kilometer auf der Carretera, dann durch hübsche Hügellandschaft mit gelb verbrannten Feldern im Tal des Guadiana auf Mérida zu, das weiß und verheißungsvoll am anderen Flußufer liegt. Auf der Piste holen mich Wuff, Anja und Martin ein und erzählen mir fröhlich, daß Rolonso meine Hose in der Nacht beim Einsammeln mit seinem Hemd verwechselt hat. Also ist sie wieder da. Rolonso überreicht sie mir freudestrahlend auf offener Straße. Ich hätte ihn umarmen können. Auf so einem Pilgerweg bekommen belanglose Kleinigkeiten eine große Bedeutung. Nicht mehr die großen Ereignisse bedrücken einen, es sind die kleinen Nebensächlichkeiten, die auf einmal so wichtig werden. Glücklich danke ich Santiago, der alles wieder bestens organisiert hat.
Ich betrete Mérida auf der 792 Meter langen Römerbrücke, die sich mit 60 Bögen über den breiten Fluß spannt. Schon wieder römische Vergangenheit. Erbaut wurde sie 25 v. Chr. Mérida war die Hauptstadt der römischen Provinz Lusitania, gegründet von Kaiser Augustus als Veteranenkolonie Emerita Augusta. Es ist schon erhebend, über 2000 Jahre alte Pflastersteine und Bögen zu gehen, über die einst die Kohorten des Augustus, dann die arabischen Krieger und später die christlichen Heere der Spanier marschierten. Hinter der Brücke türmen sich sieben Meter hohe Mauern aus festgefügten, gewaltigen, gelbbraunen Quadern auf, die ich erst für eine mittelalterliche Festung halte. Später erfahre ich, daß dies der arabische Alcázar Abd-Al-Rahmans II. ist. Nie zuvor dachte ich, daß auch die Araber solche gewaltigen Mauern bauen konnten. Ich werde sie später besichtigen, jetzt erst mal gehe ich zur Plaza España, dem Hauptplatz im Zentrum, wo ich – na, wen wohl
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