Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
zieht nun steil bergauf, hinaus aus dem Tal des Río Jerte. Ich habe heute viel zu schleppen, mehr als sonst, da ich ja doppelt Wasser und mein Essen für heute Abend mittrage. Ich schätze so um die 17 Kilo. Die Gegend ist wieder wie gestern, Stein- und Korkeichen auf gelben Wiesen.
Endlos schlängelt sich der Weg zwischen zerfallenen Mauern, die einstmals die römische Straße waren. Frieden in einer stillen, menschenleeren Landschaft, einer schönen Landschaft, nur etwas langweilig, da sich stundenlang nichts ändert. Wenigstens spenden die mächtigen Steineichen Schatten und ein leichter Nordwind kühlt.
Der Weg nimmt wieder einmal kein Ende, am späten Nachmittag erreiche ich das Landgut Venta Quemada, das weiß und gewaltig hinter einer großen, geschlossenen Mauer in einem verwilderten Park vor sich hinträumt. Am Weg steht das Dienstgebäude hinter weinüberwucherter Pergola, zwei alte Leutchen sitzen auf der Steinbank, ein gelber Hund schläft im Staub. Sie sind die einzigen Menschen, die ich nach Carcaboso sah. Ich setze mich zu ihnen auf die Bank, die alte Frau läuft ins Haus und bringt mir einen Krug kaltes Wasser, das ich gierig trinke. Wir erzählen ein wenig über den Camino, viele Menschen kommen hier nicht vorbei.
Am Gutshaus beginnt eine Cañada. Cañadas sind Viehtriften, das heißt Wege, die die Schafherden benutzen, um die so genannte Transhumanz, den Weidewechsel zwischen den Sommerweiden im Norden und den Winterweiden im Süden zu vollziehen. Die Schafzucht war im Mittelalter der entscheidende Wirtschaftszweig Kastiliens. Gegen Ende des Mittelalters gab es etwa zwei Millionen Schafe, und dank seiner Wollausfuhren wurde Kastilien zu einem der reichsten Länder Europas. Das Funktionieren des Weidewechsels war darum von vitaler Bedeutung und im 14. Jahrhundert wurden die wichtigsten Wege – die Cañadas – gesetzlich geschützt. Die bedeutendsten erhielten den Titel „königlich“ – Cañadas Reales. Schon die Keltiberer hatten auf diese Weise ihre Schafe vom Süden in den Norden getrieben. Später übernahmen die Römer diese uralten Pfade für ihre Militärstraßen und machten daraus die Calzadas Romanas, über die ich ja schon seit einer Woche laufe. Im Laufe der Jahrhunderte verloren die Cañadas ihre Bedeutung, aber noch heute wird die Transhumanz in einigen Regionen Spaniens auf große Distanz praktiziert, und seit einigen Jahrzehnten bemüht man sich, einige Cañadas zu reaktivieren.
Im Mittelalter war ihre Breite gesetzlich vorgeschrieben: 90 kastilische Ellen – 75 Meter – aber im Zuge des Verfalls der Cañadas wurden sie von den anliegenden Landgütern immer mehr beschnitten, bis heutzutage meist nur noch eine breite Piste übrig geblieben ist. Eine Ausnahme bietet diese prächtige, breite Cañada, die über 5 Kilometer noch original erhalten ist. Ich erkenne es an den beiden Steinmauern, die exakt im Abstand von 75 Metern parallel nebeneinander verlaufen. Dazwischen mäandert der Weg endlos auf weißem Sand durch blühende Frühlingswiesen. Hier wird nichts abgemäht, die Wiesen bleiben für die Schafherden, die fressend hier entlang getrieben werden. Gelbweiß geschliffene runde Felsbuckel liegen verstreut, mächtige Steineichen säumen den Weg. Ein kleines Paradies, wenn ich nicht so müde und geschafft wäre von dem schweren Rucksack und dem harten, langen Weg. Der ersehnte Bogen von Cáppara will nicht kommen.
Doch dann senkt sich der Weg durch grüne Gärten, einige Kurven noch und vor dem abendroten Himmel steht schwarz das Stadttor von Cáppara. Ich bin enttäuscht. Ich hatte einen Bogen erwartet auf grünen Wiesen, mein Führer schreibt: „Eine Übernachtung unter dem Bogen von Cáppara ist ein unvergeßliches und außergewöhnliches Erlebnis, wo sich zahlreiche Pilger zum nächtlichen Happening einfinden“. Mein Bogen steht einsam und verloren auf schwarzem Schotterbett zwischen rostigroten Drahtzäunen, hinter denen gelbe, staubige Ruinenfelder liegen. Außer mir ist sowieso niemand zum Happening da. Das Besucherzentrum ist geschlossen, die Tore versperrt. Auch der angekündigte Bayer ist nicht da.
Weiter kann ich nun nicht mehr. Ich suche etwas herum, öffne ein Gatter in einer hohen Mauer und finde eine geschützte Wiese mit Büschen und Olivenbäumen und herrlichem Blick in die weite abendliche Landschaft. Das ist mein Platz. Runter mit dem Rucksack, die Schuhe aus, die Isomatte auf die Wiese unter einen Baum, den Schlafsack raus. Hier werde ich es mir
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