Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
anzuzeigen, wo man darüber klettern muß. Vor uns sind die beiden Engländer auszumachen, die unentschlossen durch das Gras waten. Wir schwärmen aus, jeder in eine andere Richtung, um den Weg zu finden, und machen aus, daß derjenige, der ihn gefunden hat, die anderen ruft. Nach einigen Minuten pfeift der Engländer, er hat etwas gefunden. Also doch, wir müssen alle zurück zur Nationalstraße, dort gibt es eine Kiespiste und das Wegzeichen. Die Engländer machen eine Wasserpause, der Bayer stampft voraus, er hat es eilig, und so verlieren wir uns wieder.
Nach zwei Kilometern zeigt ein Steinblock nach rechts, wo ein ruhiger Feldweg abzweigt, der mich nach einiger Zeit wieder auf die Cañada zurückbringt und so zum eigentlichen Jakobsweg. Hier hatte eine Umleitung stattgefunden, wieder hatten Bauern den Durchgang über ihre Wiesen unterbunden und den Weg unkenntlich gemacht. Frohen Mutes trotte ich auf der breiten Canada weiter, die idyllische Landschaft wird jetzt immer hügeliger, die fernen Berge der Sierra de Gredos rücken allmählich blau verschwommen immer näher. Hoch oben schwimmt weiß ein kleiner Ort in den grünblauen Hängen. Das kann nur Hervás sein, eines der Bergstädtchen an der Grenze zu Kastilien. An der Bar in einem Fernfahrerhotel steht ein Mann mit schwarzen Gouchostiefeln und einem schwarzen Cowboyhut. Kastilien läßt grüßen.
Mittags lege ich mich in den Schatten einer mächtigen Steineiche ins blumige Gras. Ich habe den Frühling wieder eingeholt. Es nickt und wiegt sich gelb und weiß und lilablau. Ein Reiter kommt vorbei, ein Bauer in Jeans und offenem Hemd. Durch das Tor in der Mauer kommt ein alter Mann von seinem Feld, die Hacke über der Schulter.
Er bleibt neugierig stehen, wir plaudern etwas, er nimmt einen tiefen Schluck aus meiner Rotweinflasche. Ich biete ihm ein Zigarillo an, wir rauchen schweigend zusammen. Adiós, hasta la vista, buen camino!
Von unten aus dem Tal kommt ein Schäfer mit seiner Herde gezogen, die von dem frischen Gras und den würzigen Blumen nascht. Er erzählt mir von den großen Schafherden, die früher die Cañadas hinauf- und hinunter getrieben wurden. Hunderttausende. Heute wird dies mit Lastwagen über die Carretera erledigt. Ich fühle mich in einem Paradies: eine satte grüne Landschaft, freundliche Menschen, die Zeit zu einem Schwätzchen haben.
Ich habe die endlose Einsamkeit der Extremadura hinter mir gelassen. Die Engländer und den Deutschen habe ich aus den Augen verloren. Das sind solche, die nie Zeit haben auf dem Weg, nie stehen oder sitzen bleiben, um zu sehen und zu reden. Pilger sind die nicht, rastlose Wanderer, für die der Weg nicht das Ziel ist, sondern nur ein gutes Bett in der Herberge.
Doch auch ich muß auf und weiter. In der Herberge in Aldeanueva schlafe ich zwei Stunden in kühlem, dunklen Zimmer. Ich bin noch erschöpft von dem Gewaltmarsch gestern zu den Ruinen. Auf der Plaza vor der Bar im Ort sitzt an einem Tisch eine Frau, von der ich meine, sie schon vorher einmal gesehen und gesprochen zu haben. Eine blonde Spanierin. Ich spreche sie auf Spanisch an, ob ich mich an ihren Tisch setzen darf. Sie lädt mich ein, es stellt sich aber nach einigen Sätzen gleich heraus, daß sie nicht die ist, die ich meine, sondern Marguerita aus Uruguay, eine Deutsche, deren Eltern vor dem Kriege dorthin auswanderten, aus A Coruna in Galicien, wie sie mir erzählt.
Jetzt lebt sie in München, hat ein Haus in der Toskana, und ist eine Weltenbummlerin wie ich. Wir reden viel, ich bin glücklich, wieder nach langer Zeit Deutsch sprechen zu können, auch über Italien zu erzählen, das zu unserer beider zweiter Heimat geworden ist, sie in der Toskana, ich in Ligurien.
Später setzt sich Cristóbal zu uns, ein Spanier, 71 Jahre alt, mit dem Fahrrad unterwegs. Bald reden wir alle Spanisch, ich mit Marguerita auch zwischendurch Deutsch. Gegen Abend gehen wir zum Essen in die andere Bar gegenüber. Zu uns kommt noch ein Freund von Cristóbal, wir essen frischen Salat, zartes Rindfleisch, Spiegeleier, das übliche in den kleinen Bars hier, die die Pilger bewirten. Aber es schmeckt immer gut, ist frisch angerichtet und macht satt. Wir erwarten kein Luxusessen, wir wollen ja das einfache Pilgerleben. Wie immer gehen die anderen früh schlafen, ich setze mich in die warme Nacht allein an einen Tisch vor der Bar, rauche noch meine Abendzigarre, trinke den üblichen Brandy und leider noch einen Whisky auf Eis zuviel. Heute bin ich so richtig
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