Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
gemütlich machen. Ich lege mich nieder, Rotwein, Brot, Käse, Schinken, Tomaten ausgepackt, mit dem Messer schneide ich nun endlich mein hart gewordenes Hühnerauge aus dem Zeh. Gott sei Dank, erlöst von dem Dauerschmerz.
Ruhig will ich gerade mein Abendessen zubereiten, als laut äsend eine Schafherde den Hang hinaus auf mich zukommt. Oh Gott, das ist ihre Wiese hier und ich mitten drin. Auch weht der Wind mittlerweile kühl von Norden her aus dem Tal hinauf. Ob das so gemütlich wird heute Nacht? Mich beginnt zu frösteln und leise Angst befällt mich vor der Einsamkeit und dem Dunkel der langen Nacht. Aber ich wollte es ja so. Heiliger, hilf!
Da höre ich Stimmen. Viele Stimmen, spanische Stimmen, eine Menschenmenge hinter meiner Mauer kommt die Straße herauf. Ich luge über die Mauer: ein Reisebus steht unten an der Biegung, herauf kommen schwatzende Touristen, das Ruinenfeld zu besichtigen. Es ist sieben Uhr, das ist meine Chance! Die schickt mir der Heilige. Er will wohl nicht, daß ich hier einsam im Freien übernachte in kalter Nacht. Ich hatte einen Plan, aber er hatte einen anderen. Ich folge seinem.
Ich klettere durch das Gatter, stelle mich dem Reiseführer als Jakobspilger vor und frage ihn, ob sie mich zur Carretera ins Hotel bringen könnten. Freudig stimmt er zu, ich packe blitzschnell meine Sachen zusammen, rein in den Bus, den Rucksack neben einer Frau auf den Sitz und ab geht’s. Der Reiseführer greift zum Mikrofon und erzählt seinen Mitreisenden glücklich, sie hätten nun einen echten Jakobspilger an Bord, der zu Fuß in acht Wochen 1000 Kilometer von Sevilla nach Santiago wandert. Alle sind begeistert, ich muß gleich per Mikrofon über meine Jakobswege erzählen, einige befühlen meinen Rucksack und staunen entgeistert, wie schwer er ist. Bald sind wir an der Carretera, der Führer wuchtet meinen Rucksack ins Freie, ich verabschiede und bedanke mich: „Buen viaje, buen camino“. Der Bus rauscht ab, alle winken und klatschen, ich stehe am Rand der Carretera an einer Tankstelle vor einem Haus mit Bar. Es ist zwar nicht mein Hotel Asturias, aber nach einem Bier und einem Telefonat erscheint der Besitzer mit seinem Wagen und nimmt mich die 12 Kilometer mit.
Ich bekomme ein winziges Zimmerchen, im gleißend hell erleuchteten Comedor sitzen lauter Fernfahrer allein an ihren Tischen und schauen auf den dröhnenden Fernseher, während sie dabei essen. Ich bestelle ein großes Steak vom Grill und eine Flasche Vino Tinto. Das muß ich feiern. Ich wollte zwar die Einsamkeit, aber ich glaube, ich bin doch ein „Steppenwolf“, den es in die warme Kammer zieht. Wenn ich jetzt an die kalte, dunkle, einsame Schafweide denke. Happening unter römischem Bogen! Am Nachbartisch sitzt ein englisches Ehepaar. Jakobspilger mit Muschel. Ich glaube, ich habe es richtig gemacht! Gracias a Santiago, der mich wieder einmal seinen Weg geführt hat.
Marguerita
Freitag, der 26. Mai, vom Hotel Asturias
nach Aldeanueva del Camino, 13,9 Kilometer
Gesamt 404 Kilometer
19. Wandertag
Heute lasse ich es gemütlich angehen und verlasse erst um acht Uhr das Hotel. Erst geht es zwei Kilometer auf der Landstraße, bis ich auf die Via de la Plata, die von Cáppara die Hügel herunterkommt, treffe. Nun bin ich wieder auf der breiten Cañada. Links eine Mauer, rechts ein Drahtzaun, im Abstand von 75 Metern, in der Mitte die Landstraße. Auch hier hat sich die alte Cañada bis heute beibehalten. Auf halber Strecke höre ich von hinten ein Keuchen näherkommen. Es ist der Bayer, der mich ohne Hemd schweißtriefend mit nacktem Oberkörper überholt. Ich frage ihn, wo er denn geblieben sei in Cáppara, ich hätte ihn erwartet. Ja doch, er sei dagewesen, aber erst um neun Uhr im Dunkeln sei er angekommen und hätte sich gleich hinter die Büsche in die Wiese gelegt. Schade, da war ich ja schon längst weg.
Wir durchqueren einen Bach und müssen dann rechts über eine Wiese. Michael Kasper schreibt: „Es gibt zwei Möglichkeiten, die nächsten 7 Kilometer zurückzulegen, entweder auf markierten Wegen oder auf der N 630. Der markierte Weg hat den Nachteil, daß der erste Teil nicht nur schlecht markiert ist, sondern ein hohes verschlossenes Weidetor sowie zwei niedrige Feldmauern überklettert werden müssen“. Das Tor finden wir zwar unverschlossen, aber dann verliert sich der Weg in knietiefem ungemähtem Gras.
Zeichen sind nirgendwo auszumachen, Mauern gibt es viele, aber an keiner Stelle ist ein gelber Pfeil, um
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