Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens

Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens

Titel: Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Westrup
Vom Netzwerk:
bedeutet „Weinland“ und bezeichnet das Land südlich des Duero. Das Land nördlich heißt Tierra del Pan, das „Brotland“, weil dort der Weizen wächst. Die Herberge ist in der Kirche des Ortes in einem Nebenraum. Fünf leere Betten. Heute bin ich der Einzige, der noch übrig geblieben ist, auch der Spanier von gestern ist nicht mehr erschienen. Im Gästebuch lese ich, daß Gebhard und Cäcilie am 17. Mai hier waren und Hanns und Annique am 1. Juni, also gestern. Sie sind mir einen Tag voraus. Schade, ich hätte sie gerne wieder getroffen.
    Hier hat man die Kirchenglocken durch elektrische Lautsprecher ersetzt, die jede Viertelstunde erklingen wie die Laute der Spielautomaten. Vor dem Essen, das wie überall erst um neun Uhr beginnt, sitze ich vor der einzigen Bar des Ortes. In der Abendsonne ist es noch warm. Kaum ist sie verschwunden, wird es gleich bitterkalt. Ich muß den Pulli überziehen und zuknöpfen. Ich bin auch der einzige, der draußen sitzt. Für die Kastillaner ist dies noch kein Sommer. Ein Sprichwort sagt: „Hasta el cuarento de mayo no te quiter el sayo.“ – „Zieh dir bis zum 40. Mai nicht den Mantel aus.“ Heute ist erst der 33. Mai!
    Jede Stunde fährt ein großer, eleganter Bus mit Klimaanlage und getönten Fenstern vorbei: Salamanca – Zamora. Ich frage mich, warum ich mir das alles antue. Eine Stunde und das alles wäre vorbei, alle Quälerei, alle Einsamkeit, aller Wind. Ich bleibe, weil ich ein Pilger bin. Pilger nehmen nicht den Bus.
    Der Wirt sammelt die Stühle auf, die der Wind immer wieder umwirft und auf die Straße treibt. Der „Stuhlwind“ der Griechen. Beim Essen bin ich dann der einzige Gast, außer dem lärmenden Fernseher und dem Wirt, der mir beim Essen neugierig zuschaut.

Das Museum der Romanik

    Samstag, der 3. Juni, von El Cubo de la Tierra del Vino
    nach Zamora, 32 Kilometer
    Gesamt 568,6 Kilometer
    26. Wandertag

    Dies war keine gute Nacht in meiner einsamen Herberge. Dauernd ist mir das Bettzeug verrutscht auf dem durchgelegenen Feldbett. Als ich in der Nacht aufstehen muß, merke ich, daß ich vor Schmerzen im Fuß nicht mehr auftreten kann. Ich muß meinen Wanderstock zur Hilfe nehmen, um mich abzustützen und ins Bad zu kommen. Morgens gibt es dann das dazu passende Frühstück: kalter Nescafé, da es kein warmes Wasser gibt und trockenes Weißbrot, das unterste Pilgerniveau.
    Dafür bin ich bereits um sieben Uhr auf der Piste, ich muß ja heute 32 Kilometer schaffen! Es ist bitterkalt und heulender Sturm. Ein eisblauer Himmel zeigt die letzten Sterne, ein orangezarter Streifen am Horizont kündigt die Sonne an. Mit Regenjacke und Kapuze trotze ich dem Wind, bei jedem Schritt trete ich auf ein Messer. Meine Muskeln und Sehnen sind noch steif und kalt, kein Morgenkaffee wärmt meinen Körper, die Nacht hat mich ausgelaugt, der kalte Wind nimmt mir die letzte Wärme. Die Zahnschmerzen sind wieder schlimm, ich kann nur noch mit Schmerzmitteln laufen. Das Land hat sich nicht geändert. Stunde um Stunde stapfe ich tapfer die Piste entlang, staubig und weiß mit gelbem Sand, baumlos von Hügel zu Hügel und menschenleer bis an den fernen verdämmernden Horizont.
    Vor der Bar in Villanueva treffe ich Marguerita wieder, die sich diesmal an zwei Italiener gehängt hat. Sie sind heute morgen mit dem Bus von Salamanca nach El Cubo gafahren. Wir essen gemeinsam Bocadillos, dann laufen sie mir davon. Sie sind jünger und stärker. Mittags in der Wärme stabilisiert sich mein Fuß, ich kann stellenweise schon wieder flüssig laufen. Die Wärme und die Bewegung tun gut. Mittags schlummere ich eine halbe Stunde im kühlen Schatten eines Pappelwäldchens. Nachher bin ich ganz weiß von dem Pappelsamen wie nach einem Schneefall. Dann will ich nicht mehr raus aus dem warmen Gras in den brüllenden Sturm.
    Der Weg nimmt kein Ende, der mörderische, kalte Wind tobt den ganzen Tag. Hört er einmal auf in einer Senke, ist die Sonne sofort glühend heiß. Die Luft ist so klar, das Licht so gleißend wie auf dem Mond. Hügel über Hügel, endlich muß doch Zamora kommen. Noch ein Tal, noch eine trockene Bergkuppe, verkommene, stinkende Bauernhöfe, Schutt und Abfall neben der Piste, quiekende Schweine hinter weißen Mauern, Kühe, die nach Futter schreien. Ein letzter schweißtreibender Anstieg, ich bin völlig fertig, schleppe mich nur noch mit zitternden Knien voran. Dann das ewig gleiche Wunder, ein Schritt, die Staubpiste wird zur Asphaltstraße, Häuser rechts und links,

Weitere Kostenlose Bücher