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Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens

Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens

Titel: Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Westrup
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Wandertag

    Heute Morgen komme ich erst um acht Uhr aus dem Bett. War wohl gestern doch ein Brandy zuviel. Ich gehe noch einmal zu Fuß durch die ganze Stadt, vorbei an den Kirchen, Palästen und Plätzen, die zwei Tage meine Heimat waren. Vorbei, vorbei, Santiago zieht mich weiter gen Norden. Nun bin ich vier Wochen unterwegs, heute beginnt die zweite Hälfte. Ich laufe fast schmerzfrei, der Ruhetag hat mir gut getan, der Stützstrumpf und die Medizin scheinen auch zu helfen. Und die Kerzen vor der Madonna. Dafür habe ich heute Zahnschmerzen. Schweigt der Fuß, lärmt es jetzt im Kopf. Mein Schmerzensweg.
    Lange brauche ich aus der Stadt heraus, aus diesen ekligen Autobahn- und Schnellstraßenknoten, dies ist nicht die Welt der Pilger, der ruhigen Wanderer, die Betonpisten schwingen sich auf ihren Pfeilern hoch über mir durch das gelbe, knochentrockene Land. Nach zwei Stunden bin ich doch wieder auf der welligen freien Ebene mit den endlosen, abgeernteten Weizenfeldern, die von staubigen Pisten rechtwinklig zerschnitten werden. Es ist das gleiche Land wie vor zwei Tagen vor Salamanca, da waren die Pisten weiß, jetzt sind sie rot. Manchmal gabelt die Piste sich, dann laufen zwei endlose Bänder schräg auseinander, rechts sieht aus wie links, wäre nicht der winzige, gelbe Pfeil auf einem winzigen, kleinen Stein an der Gabelung, ich wüßte nicht, soll ich rechts oder links gehen. Alles sieht absolut gleich aus, die rechte Piste führt ins Nichts, die linke auch. Ich muß nur die richtige wählen, um in das richtige Nichts zu gehen.
    Es ist langweilig zu laufen, so wie vorgestern, nur der ewige Wind ist nicht mehr so stark. Ich mache Picknick unter der einzigen kleinen Pappel des ganzen Tages am Sportplatz von Castellanos de Villiquera. Die Orte sind häßlich, winzig, gottverlassen. Unverputzte, rote Ziegelsteine, Wellblech, Telefondrähte, die den Himmel kreuz und quer zerschneiden, Totenstille in den Straßen. Der Himmel ist grenzenlos blau, das Land grenzenlos braun, ich bin grenzenlos allein, ein bißchen niedergeschlagen nach der geselligen Stadt jetzt in dieser Verlorenheit.
    Früh am Nachmittag ist Valdunciel erreicht, ein Haufen von Häusern an der lärmenden Carretera. Bei Elena, der „Kulturstadträtin“, neben dem Rathaus hole ich mir den Schlüssel zur Herberge. Ein kleines Schläfchen in dem dunklen, kühlen Raum, später kommt noch ein älterer Spanier herein. Eine Schmerztablette gegen das Zahnweh, das laut pocht, dann gehe ich durch den kleinen Ort. Es gibt nichts zu entdecken außer der entzückenden romanischen Kirche, deren Tür überraschenderweise offen steht. Drinnen ist Marienandacht vor einer weißen Madonna mit silbernem Strahlenkranz. Es sind nur Frauen in der Kirche mit schweren braunen und schwarzen Röcken und Strickjacken. Hinten stehen zwei alte Männer an der Wand. Die anderen sitzen draußen auf einer Steinbank in der schattigen, gedeckten Vorhalle. Ich bete zur Madonna, daß sie mir meine Schmerzen nimmt. Im Chor eine gewaltige, barocke, vergoldete Altarretabel, schwer und wuchtig vor der weißen Wand. Rechts und links des Chores zwei bunt bemalte Retabeln aus der Renaissance.
    Der Chor ist höher als das Schiff, er wurde auch später errichtet als der Rest der Kirche. Unter dem Renaissancefenster steht: Anno Domini 1736. Der quadratische Turm ist romanisch mit zwei Rundbogenfenstern auf jeder Seite.
    Die Kirche stellt die Geschichte dieses Landes dar. Calzada – die Straße – hier kamen die neuen Baustile von Norden hinunter vom Camino Francés, erst die Romanik, die Turm und Schiff baute, dann die Gotik, die den Chor baute und dann die Renaissance aus Italien, die das Fenster und die Retabel schuf.
    Im Restaurant neben der Carretera werde ich im Comedor direkt unter den Fernseher gesetzt, der auf einem eisernen Arm aus der Wand kommt. Heute läuft hier Fußball, den Stierkampf gibt es im zweiten Fernseher in der Bar. Beide laufen gleichzeitig und mit unverminderter Lautstärke, damit man sie auch versteht. Ich setze mich mit dem Rücken zum Fernseher und lese in meinem schönen Buch: „Spanien, ein Reiselesebuch“, mit Reiseerzählungen aus dem 18. Jahrhundert, unter anderem auch von Alexander von Humboldt und seinem Bruder Wilhelm. Viel scheint sich nicht geändert zu haben in den zwei Jahrhunderten, bis auf die Carretera und das Fernsehen.
    Die anderen Gäste gucken alle zu mir hin, da sie ja wie üblich beim Essen fernsehen. Zu sagen haben sie sich ja nichts. Ich lese

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