Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
gegessen. Da schwärme ich von meinem Salat und dem zarten Fleisch in der Bar. Jetzt zockeln wir wieder zu viert den steilen Kiesweg hoch über die dürre Höhe nach Santa Croya. Am Wege entdecke ich rote Mauergevierte aus mannshohen Lehmmauern mit eingestürzten Dächern. Das sind wohl Ställe und Scheunen gewesen.
Diese Mauern sind typisch für Kastilien, ich sah sie zum ersten Mal im Norden in der Meseta am Camino Francés, wo ganze Dörfer daraus gebaut sind. Man nimmt nassen Lehm, der sich in den Niederungen der Flüsse überall findet, mischt etwas Kuhmist darunter, preßt ihn in Holzformen und läßt ihn tagelang in der heißen Sonne trocknen. In diesen Gegenden, wo es fast nie regnet, werden die Mauern steinhart und überdauern Jahrzehnte. Auch in Mexico sah ich diese Ziegel, dort werden sie Adobe genannt.
Vor Santa Croya entdecke ich noch eine Merkwürdigkeit, mit der ich zuerst nichts anzufangen weiß. In den Hügeln vor dem Fluß Tera brechen eigentümlich spitzgiebelige Hügel aus den gelben Wiesen, vorne mit Fenstern und Türen, auch eine Bank davor, oben auf der Spitze hockt eine Art von Kamin mit offenen, schwarzen Löchern. Es sieht wie ein kleines Dörfchen aus, auch lehmige Wege führen dorthin und um die Hügelchen herum. Menschen sieht man keine, auch Hunde nicht oder andere Lebewesen. Ist es ein verlassenes Dorf? Doch so sieht es eigentlich nicht aus, es ist nur zurzeit anscheinend nicht bewohnt, obschon die Hügel nicht nach einem ständigen Wohnsitz aussehen. Merkwürdig, ich sah ähnliches schon einmal im Burgenland in Österreich, in die kalkigen Hänge gebaut. Dort sind es Weinkeller, zum Kühlen in den Berg gebaut. Aber diese hier sind größer und stehen auch wie Spitzkegel auf dem Boden. Ich sollte die Lösung dieses Rätsels noch heute Nacht erfahren.
Santa Croya ist tot an diesem Samstagabend, keine Gaststätte, keine Bar, kein Laden geöffnet. Nur die grünen Kreuze von zwei Apotheken blinken müde in die abendliche Stille. Natürlich ist mal wieder das letzte Haus des Ortes die Herberge, diesmal ist es die private Herberge von Anita, ein schmuckes, modernes Haus mit einem Gärtchen davor, voller duftender, blauer Lilien und weißer und roter Rosen. Darin steht ein gelber Sonnenschirm.
Nach der herzlichen Begrüßung durch Anita und ihren Mann Domingo – auf Deutsch Sonntag – genießen wir die schläfrige Ruhe auf bequemen Stühlchen im warmen Nachmittagslicht. Ich bin so glücklich, wieder in der Gemeinschaft der lieben Freunde zu sein und mit ihnen zu lachen und zu scherzen. Wenn man so lange und viel allein ist, wird man so ernst und so schwer, und Louk ist ein so lustiger Mensch mit seinem spaßigen holländischen Dialekt, wenn er Deutsch spricht. Er bringt uns immer alle zum Lachen.
Ich treffe den Engländer Tom aus Sheffield zum ersten Mal, der mir für die nächsten Tage ein Weggefährte werden sollte. Das Glück mit den Freunden ist nur von kurzer Dauer. Louk eröffnet mir, daß sie morgen mit dem Bus nach Puebla de Sanabria fahren werden. Sie pilgern ja anders als ich, sie laufen ein Stück, einen Tag, einen halben, dann fahren sie weiter. Mit Bus oder Taxi. Sie haben es fertig gebracht, in den vier Tagen dreimal mit dem Taxi zu fahren. Sie haben auch keinen Plan wie ich, mit Tagesetappen, Kilometerzahlen, Reisezielen, wissen nicht wann sie wo sein wollen, sie entscheiden es spontan nach Lust und Laune. So etwas könnte ich nie! Ich will den ganzen Weg zu Fuß machen, die ganzen 1000 Kilometer, das habe ich meinem Heiligen gelobt und da gibt es keine Ausnahme. Die Freunde, ihre Gesellschaft, die Freude, das Lachen oder mein Weg und die Einsamkeit. Ich habe mich entschieden und sage ihnen traurig, daß ich nicht mitkomme. Sie verstehen das, sie kennen mich ja, niemand ist dem anderen böse, man trifft sich auf dem Weg, man verliert sich auf dem Weg. Das ist der Weg. Vielleicht werden wir uns ja doch wieder treffen die nächsten Tage. Doch ich weiß, es wird nicht sein. Wer einmal aussetzt oder vorausfährt, ist raus. Vergangen und verloren. Wir wollen uns wieder zusammentelefonieren, meint Louk. Ich weiß, es wird nicht sein. Und ich sah sie auch auf diesem Weg nicht mehr. Jean besuchte ich dann im September von Italien aus in Sanary sur Mer, in seinem schönen, weißen Haus über der kleinen Bucht. Doch er war ein anderer und ich war ein anderer. Pilger ist man nur auf dem Weg.
Louk und Nolly besuchte ich im März 2007 in Delft, bereits zum zweiten Mal, und wir
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