Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
bemoosten Feldsteinmauern immer tiefer in den urwaldähnlichen Wald, es wird immer dunkler, immer nasser, der Weg wird zum Morast, ich wate durch weiche, fußtiefe Pfützen und ausgewaschene, vollgesoffene Fahrspuren. Gelbe Pfeile sehe ich auch nicht. Ich ahne, daß dies vielleicht doch nicht der richtige Weg ist. Fußspuren sehe ich auch nicht mehr. Hier ist seit langem niemand mehr gelaufen.
Aber ich taste mich entschlossen weiter, bis nach 500 Metern ein Drahtzaun den Weg versperrt, dahinter fällt er zu einem Bach hinunter, die Brücke ist vom Hochwasser zerstört. Nun könnte ich mutig sein, unter dem Draht durchkriechen, den Bach durchwaten und die Wiese hinaufspuren, dies war sicher einmal vor Jahren der Jakobsweg. Nun ist er aber verlegt, wahrscheinlich hat man wegen der Autobahn die neue bequemere Piste gebaut und der alte Weg ist verfallen. Also kehre ich besser um, 500 Meter wieder zurück, macht einen Kilometer gleich einer viertel Stunde, besser als im Bach zu versaufen oder im Morast der Wiese stecken zu bleiben. Ich bin kein Held und kein Abenteurer.
Marguerita ist natürlich schon lange weg. Nach einem Kilometer trifft, wie ich vermutet habe, die neue Piste auf den alten Weg, der von links die Wiese emporspurt. Jetzt habe ich ihn wieder, und auch die Beschreibung meines Führers paßt. Es beginnt ein langer und mühsamer Aufstieg, zwei Stunden lang, zuerst durch dschungelartigen Urwald, dann durch mannshohe Farnwälder, verbuschte Macchie mit Lorbeer, Brombeeren und Rosengestrüpp, zum Schluß durch dichte Heide- und Krautlandschaft. Ich sehe nun tief unter mir im Tal die Autobahn, die sich an den gegenüberliegenden Hängen hinaufwindet und auf der Spielzeuglaster geräuschlos hinaufkriechen, um zuletzt in dem Tunnel unter mir zu verschwinden. Auch die Märklineisenbahn verschwindet durch ein Loch im Berg. Oben treffe ich auf die alte Paßstraße, nun nicht mehr befahren, ein Kilometerstein mit gelber Jakobsmuschel auf blauer Fliese zeigt mir, ich bin in Galicien. 247 Kilometer bis Santiago de Compostela ist zu lesen. Von nun an zeigen alle Wegweiser die Entfernungen bis zum Grab des Heiligen. Ich bin 1262 Meter hoch, der letzte Paß über die Cordillera, Portilla de la Canda. Endlich bin ich in Galicien, zum dritten Mal in acht Jahren. Das erste Mal 2000 auf dem Camino Francés, das zweite Mal 2004 auf dem Camino Primitivo und nun das dritte Mal auf dem Camino Mozarabe.
Gelber Ginster begrüßt mich mit mannshohen Büschen, er duftet und glänzt mit tausenden von gelben Blüten, Santiago empfängt mich mit Sonnenschein, ich bin raus aus der grauen Suppe hinter den Bergen. Ergriffen, mit Tränen in den Augen, danke ich meinem Heiligen an seiner gelben Muschel: „Nimm mich an, lieber Jakob, und beschütze mich auf allen meinen Wegen. Halte mich und nimm mir meinen Schmerz, daß ich glücklich an dein Grab komme, Dich zu küssen und zu umarmen.“
Hinunter geht es besser. Bald empfängt mich ein traumhafter, idyllischer Weg durch grünes Wiesental mit Mäuerchen, Trittsteinen und Brückchen aus Granit. Links schlängelt sich ein junges Bächlein zwischen Erlen, Buchen und Steineichen, springt über weißgrauen Granit, rechts über mir liegt eine kahle Hochheide mit rundgeschliffenen Steinblöcken. Picknick im Gras am einsamen Weg, einen Fels im Rücken, das Tal zu meinen Füßen. Als ich nachher aufstehe nach kurzer Rast, kann ich vor Schmerzen kaum laufen, erst nach einer Viertelstunde sind die Sehnen am Knöchel warm und weich, dann geht es wieder. Ohne Stock, mein drittes Bein, käme ich kaum voran.
Es beginnt zu regnen. Ich bin in Galicien. Eben Sonne, jetzt Regen, maritimes Klima, der Atlantik ist nicht weit. Die Dörfchen, Villavela, Pereiro, O Canizo sind winzig und verkommen, an der Straße stehen verlassene Ruinen mit zusammengebrochenem Balkon und leeren Fensterhöhlen. Auf einem Türsturz sehe ich ein Kreuz in einem Wappen, früher war es ein stattliches Bürgerhaus mit prächtigem, verzierten Türgewände, jetzt stehen in der Halle riesige Feigenbäume und strecken ihre fünf grünen Finger durch die leeren Fenster. Ich bin jetzt im Armenhaus Spaniens.
Im letzten Ort, O Canizo, treffe ich in der einzigen Bar-Tienda in einem dunklen vollgestopften Raum halb unter der Erde an der Theke Angel, meinen „Schwarzen Engel“, der mich wieder laut schallend als Señor Peter, seinen Freund aus Deutschland begrüßt und gleich wieder auf Deutsch auf die Scheißspanier schimpft und die guten,
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