Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
Langsam und vorsichtig schlittere ich eine schlüpfrige Schieferpiste hinab, erreiche die Straße, die mich elegant um diesen unangenehmen Berg herumgeführt hätte, die grünen Sommerwiesen am jungen Río Camba leuchten freundlich im aufziehenden Sommerlicht.
Marguerita hatte hier das einzige Hotel für uns bestellt, eine Herberge gibt es nicht. Ich ziehe mich auf die Terrasse in die warme Nachmittagssonne zurück, lese, schreibe, die Unwirtlichkeit des Vormittags ist vergessen. Dies ist Urlauberland, die Kneipe ist dekoriert wie im Schwarzwald mit handgeschlagenen, kantigen Holzmöbeln aus Kiefernholz, an den vertäfelten Wänden hängen Geweihe und Wildschweinköpfe. Eine Gruppe von jungen spanischen Wanderern ist im Gastraum, mit Wanderstiefeln und Socken, die wohl morgen am Sonntag in die Wälder wollen.
Passend zu dem rustikalen Ambiente essen Marguerita und ich ganz allein in einem Seitenraum Schweinebraten mit einer köstlichen Kruste. Etwas, was ich bislang noch nie in Spanien bekam. Marguerita geht früh zu Bett, dafür steht sie dann morgens auch immer als erste auf und läuft dann ohne Rast und Pause, um nachmittags die erste in der Herberge zu sein. Sie ist schon eine etwas sonderbare Person, eigentlich immer mit sich allein, auch wenn sie sich an andere dranhängt. Ich glaube, sie ist nicht in der Lage, eine Zeit lang bestehende Kontakte zu knüpfen und auch zu halten. So setze ich mich nach dem Essen allein auf die Terrasse, der Abend ist überraschend warm geworden, zum ersten Mal seit Tábara kann ich abends wieder in der lauen Nacht draußen sitzen.
Ich denke über die nächsten Tage nach. Zu meinen ständigen Schmerzen im Fußgelenk sind nun auch noch starke Schmerzen im linken Knie gekommen. Ich ahne, was sich da anbahnt: eine Schleimbeutelentzündung, eine äußerst schmerzhafte Sache, die einen bald am Weitergehen hindert, jeden Schritt zur Qual macht und, wenn man nicht energisch eine Woche Pause macht und eine Kortisonspritze bekommt, das Aus für die Wanderung bedeutet. Ich überlege deshalb, meinen Plan zu kürzen und nur noch vier Tage nach Ourense zu gehen. Mit Schmerztabletten könnte ich das bestimmt noch durchstehen und würde dann von dort mit dem Bus nach Santiago fahren. Ich werde sehen, wie sich die nächsten Tage entwickeln werden. Ich entscheide sowieso lieber von heute auf morgen. Abbrechen kann ich immer noch und Busse gibt es hier überall.
Ich komme mit einem Spanier vom Nachbartisch ins Gespräch, der längere Zeit in Deutschland gearbeitet hat und ziemlich gut Deutsch spricht. Ich frage ihn, woher es käme, daß dieser Ort einen so gepflegten und wohlhabenden Eindruck mache und erzähle ihm von den verkommenen Orten der letzten Tage. Er erklärt mir, daß die Bauern viel Geld von der Regierung bekommen hätten als Entschädigung für ihr Land, das sie im Tal des Río Camba hergeben mußten für den Bau des Stausees de las Portas. Und das hätten sie eben in alle diese schönen, neuen Häuser mit den goldeloxierten Aluminiumfenstern und den schmiedeeisernen Gittern an den Eingangstüren gesteckt.
Um elf Uhr geht ein schweres Gewitter nieder, unablässig schlägt der Donner und prasselt der Regen. Deshalb war es so schwülwarm geworden.
Im schönsten Wiesengrunde
Sonntag, der 18. Juni, von Campobecerros
nach Laza, 15,1 Kilometer,
gesamt 795,0 Kilometer
37. Wandertag
Heute Morgen ist wieder alles im Nebel. Marguerita ist schon lange weg, als ich aufstehe. Ich bin jetzt der einzige „Through hiker“, wie die Amerikaner die nennen, die Tausende von Kilometern trecken in ihrem endlosen Land. Ich bin nun der Einzige, der übrig geblieben ist von den dreißig in Sevilla. Doch der Nebel ist heute warm und mild. Feenhaft zieht er um die Wipfel der Kiefern, durch die meine schmale Landstraße den Berg hinauf spurt. Bald beginnen die Schwaden zu ziehen, giftig gelb färbt das Sonnenlicht die Nebel, sie ziehen hoch, sie ziehen nieder, ein lautloses Gewoge in der schwarzen Waldlandschaft. Auf 1000 Meter Höhe reißen die letzten Fetzen auf, weiße Watte liegt fett und schwer in den weiten Tälern. Hier oben scheint schon die Sonne vom blauen Himmel, unten quälen sich noch die Schwaden durch die schweren, feuchten Täler. Ich möchte jubeln in dieser morgenfrühen Berglandschaft mit ihren Wiesen und Wäldern, als sei es der Schwarzwald daheim.
Der Einzige bin ich heute Morgen wieder:
„Im Frühtau zu Berge wir gehen, fallera,
es glänzen wie Smaragde alle Höhn,
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