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Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens

Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens

Titel: Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Westrup
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kann denn schöner sein.

    Am liebsten möchte ich meinen Schlafsack herauskramen und hier den Abend und die Nacht bleiben, doch ich fürchte mich in der kalten Einsamkeit. Also rein in den nahen, warmen Ort, zur Polizei, wo ich den Stempel bekomme, Marguerita kommt mir entgegen und weist mir den Weg. Ich wasche mal wieder meine wenigen Socken, die Herberge ist modern und sauber, ein Ostberliner begrüßt mich freudig, wir gehen ins Restaurant zum Essen.
    Da sind schon zwei Engländer, erst sagt die Wirtin, es gäbe nichts mehr um drei Uhr, dann kommt sie doch mit einem großen Teller voll dampfendem Fleisch und Pommes Frites. Unser Comedor ist dreißig Meter lang, hier werden wohl die Dorffeste gefeiert, unsere Eßecke hat man durch hölzerne Faltwände abgetrennt. Es tut gut, wieder unter Menschen zu sein. Marguerita sehe ich nicht, die hat sich wohl wieder zurückgezogen und meidet die Geselligkeit.
    Die Häßlichkeit dieser galicischen Orte ist wirklich nicht zu überbieten. Alles ist kreuz und quer durcheinander gebaut, es gibt keinen Marktplatz, die Kirche steht irgendwo, das Rathaus woanders, die Bar ist in irgendeiner Seitengasse, das Restaurant am Stadtrand an der Landstraße, die den Ort im weitem Bogen umfährt. Die Häuser sind klein oder groß, weiß oder grau, mit Flachdach oder ohne, schräg oder gerade, mit süßen, gepflegten Gärtchen oder mit Höfen voller Gerümpel, an der Wetterseite hat man verrostetes Wellblech an die Wand genagelt. Der Architekt leidet und sehnt sich nach den weißen Städtchen Andalusiens.
    Ich überlege mir zwei Varianten ab Ourense: wenn es mir weiter so schlecht geht, mit Bus oder Zug nach Santiago und nach zwei Ruhetagen mit dem Bus nach Fisterra oder Muxía ans Meer. Geht es mir doch wieder besser, wandere ich noch zwei Tage von Ourense nach Castro.
    Ich möchte nämlich unbedingt das Zisterzienserkloster Oseira sehen, wo ich eventuell auch übernachten kann. Das wäre dann ein besonderes Erlebnis, da ich doch die Klöster so sehr liebe. Ich werde sehen, wie sich meine Sache entwickelt. Vielleicht hilft mir Santiago ja, wenn ich ihn bitte! Ich habe jetzt noch drei Tage bis Ourense.

Muscheln im Pilgerwinkel

    Montag, der 19. Juni, von Laza
    nach Vilar d Barrio, 19,9 Kilometer
    Gesamt 814,9 Kilometer
    38. Wandertag

    In diesem lausigen Ort kann ich erst ab neun Uhr etwas einkaufen, für mein Picknick heute Mittag. Gestern gab es ja nichts zu kaufen, da Sonntag war. Marguerita und die anderen sind schon um halb sechs im Dunkeln aufgestanden, da sie heute 34 Kilometer bis Ourense durchlaufen wollen. Viel Spaß, das wird ein Marathonlauf. Diese Menschen pilgern nicht, erleben nicht die Schönheiten der Landschaft, die göttliche Natur, liegen nicht unter schattigen Bäumen am plätschernden Bach, sitzen nicht hoch auf den Bergen im Wind und träumen in das weite Land, sie hetzen die Kilometer herunter, um ihr Ziel dann am Abend erschöpft zu erreichen und todmüde in die Betten zu fallen. Schnelläufer sind sie, Pilger sind sie nicht. Marguerita sah ich dann auch nie mehr wieder, die anderen auch nicht, der Ostberliner schrieb mir noch vom Müggelsee eine Karte.
    In dem ausgestorbenen Ort finde ich auch tatsächlich eine Tienda, die schon um neun geöffnet hat. Alles andere ist noch fest verschlossen und verriegelt, nur die Bank hat schon geöffnet, die mir den Weg zur Tienda weist. Frisches Brot bekomme ich schräg gegenüber bei einem Bäcker im Hinterhof mit rußiger, rauchgeschwärzter Backstube, wo die warmen Brotlaibe noch im Ofen liegen. Die Bäckerin fischt einen heraus, warm, goldgelb, duftend und packt ihn mir in Zeitungspapier. Im Hof liegt das Holz für den Ofen in hohen Stapeln.
    Im grünen Tal zwischen Bäumen und Wiesen pflügt ein alter Mann sein Maisfeld mit einem Esel. Die Bäuerin mit Kopftuch und geblümtem Kittel klaubt Kartoffeln aus der Erde. Hinter Tamicelos steigt die Piste aus dem Kiefernwald steil bergauf. Dies ist der berüchtigte Aufstieg, vor dem mich Marguerita, die alles weiß, gewarnt hat. 45 Grad Steilaufstieg, das härteste Stück Weg.
    Ganz so steil und schlimm ist es nicht, aber fast so geht es endlos in der Direttissima den roten Hügelrücken hinauf, durch sonnenverbranntes Ginster- und Kieferngestrüpp, gnadenlos heiß in der sengenden Sonne. Die Fliegen schwirren wieder in dichten, surrenden Wolken um den schweißnassen Kopf, die salzigen Tropfen fließen in Bächlein in den Nacken, Schritt für Schritt kämpfe ich mich, schwer auf

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