Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
14 Kilometer bis Xunqueira de Ambía zu gehen und dann den Bus nach Ourense zu nehmen. Dort muß ich dann zu einem Arzt gehen. So kann ich nicht mehr weiter. Jetzt ist mein Tiefpunkt erreicht. Allein, von allen Freunden verlassen, liege ich hier unter dem Kreuz von Golgatha und mag nicht mehr aufstehen. Ich will nun nicht mehr. Zwei Schmerztabletten noch, der letzte Schluck warmes Wasser. Schritt vor Schritt schleppe ich mich die rutschige, steile Kiespiste hinunter, nur jetzt nicht fallen! Santiago, hilf mir armen Pilger!
Vilar de Barrio, wieder so ein lausiger Unort, wenigstens gibt es eine weiße, moderne Herberge. Die beiden Finnen sind schon da, sonst nur ein Brasilianer, der sich in der Küche etwas zu essen macht. Die Finnen geben mir den Tip, wo wir hingehen können, um zu Abend zu essen.
In der riesigen Bar des Restaurants „Via de Prata“ – Via de la Plata auf galicisch – erwartet uns ein Saal, 20 auf 20 Meter groß mit 10 Meter langer, funkelnder Bar, zwei Fernsehern in der Ecke, ein Platz von 6 auf 6 Meter ist durch hölzerne Faltwände als Comedor abgeteilt. Hier sitzen wir drei in gleißendem Neonlicht zusammen, die letzten, die übrig geblieben sind. Die Wirtin hat den Fernseher extra laut für uns eingestellt. Auch hier im Restaurant umschwirren uns die Scheißfliegen. Dieses Südgalicien ist das Primitivste, was ich je erlebt habe auf meinen Jakobswegen. Wie Menschen nur so leben können!
Die kontaktarmen Finnen gehen nach dem schnellen Essen um neun Uhr ins Bett und lassen mich mit meinem Brandy, meiner Zigarre und dem dröhnenden Fernseher allein. Jetzt ist wirklich mein Tiefpunkt erreicht. Morgen noch der letzte Tag, dann will ich nicht mehr.
Die Straße der Hórreos
Dienstag, der 20. Juni, von Vilar de Barrio
nach Xunqueira de Ambía, 13,9 Kilometer
Gesamt 828,8 Kilometer
39. und letzter Wandertag
Der Morgen beginnt grau und kühl. Die Finnen und der Brasilianer sind schon lange weg. Ich besorge mir noch eine Packung Schmerztabletten. Ich brauche jetzt alle zwei Stunden eine. Hinter Vilar durchquere ich eine weite flache Ebene, das Tal des Río Limia. Dies scheint ein fruchtbares Tal zu sein, die Orte sehen wieder wohlhabend aus, die Häuser gepflegter, mit weißen und roten Kletterrosen an den Granitwänden. Vor jedem Haus steht jetzt ein Hórreo an der Straße, ein kleines Häuschen aus Granit, lang gestreckt mit kleinem, spitzen Dach. Zwischen den Pfeilern ist ein Gitter aus Holzlatten gesteckt, grau verwittert, hinter dem der Mais aufbewahrt wird. Durch die Lücken streicht die Luft, so daß die Kolben gut trocknen können. Das lange, schmale Häuschen steht auf Granitpfeilern, auf die man große Steinplatten mit glatt geschliffener Unterseite gelegt hat. Sie sollen verhindern, daß die Mäuse über den Mais herfallen und ihn auffressen. Mäuse können zwar an senkrechten Steinwänden hochsteigen, aber horizontal über Kopf an der Unterseite der Steinplatten entlang laufen wie die Fliegen können sie nicht. Durch diese einfache aber geniale Vorrichtung werden die Mäuse gehindert, über den Mais herzufallen. Diese Hórreos findet man überall in Galicien und Asturien. Sie sind wohl eine Erfindung der Kelten. Woanders sah ich sie nie. Originell ist auch eine Bekrönung am Giebel: auf der einen Seite ein Granitkreuz, auf der gegenüberliegenden eine Granitkugel.
In Carmen Rohrbachs Buch: „Spanien, vom Jakobsweg bis ins maurische Andalusien“ las ich eine Erklärung dieser seltsamen Bekrönung: das Kreuz symbolisiert das Christentum, die Kugel ist ein altes, heidnisches Zeichen der Kelten, die das Christentum besiegt und dennoch eine Erinnerung an ihre uralte Religion bewahrt hat.
Hübsch sieht diese Parade von Hórreos längs der Rúa Maior aus, je nach Größe des Hofes sind sie kürzer oder länger, niederer oder höher, die kleinsten haben nur drei Pfeiler, in Nordgalicien sah ich Langhäuser mit zehn Pfeilern. Eines war sogar über den Jakobsweg gebaut wie eine Brücke, unter der man durchtauchen mußte.
Am Ortsrand von Vilar de Gomareite spricht mich ein junger Bauer auf Deutsch an, der am Drahtzaun auf mich gewartet hat. Er erzählt mir, daß er als junger Mann nach Deutschland gegangen ist, 15 Jahre in Pforzheim gearbeitet hat und nun zurückgekehrt ist nach Galicien, den Hof seines Vaters als Bauer zu bewirtschaften. An dem vielen gepflegten Ackergerät sehe ich, daß es ihm gut gehen muß, die Ordnung und die Sauberkeit hat er in Deutschland gelernt. Er beneidet
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