Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
Um 7.25 Uhr kommt der große blaue Bus, wir sind zu dritt allein. Es geht durch grünhügeliges Land, bergauf, bergab, ich entdecke die gelben Pfeile des Jakobsweges an den Mauerecken, auf der anderen Talseite sehe ich die Finnen auf dem Weg durch die Wiesen. Der Bus hält in vielen kleinen Orten, die Bebauung nimmt zu, das fruchtbare Tal ist total zersiedelt, bald beginnt das Weichbild der großen Stadt mit Lagerschuppen, Supermärkten, Schnellstraßen. Ich bin froh, daß ich hier nicht laufen muß. Die Vegetation wird wieder mediterran: dicke, alte Feigenbäume, Palmen, Bougainvilleen, Lilien.
Von der Bushaltestelle im Stadtzentrum gehe ich sofort gegenüber in eine Cafébar und frühstücke seit langem einmal wieder ausgiebig: Café solo, Croissant, Orangensaft, und sprudelndes, kaltes Wasser aus einem sauberen Glas. Ein Taxi bringt mich samt Rucksack ins Krankenhaus. Der Arzt stellt wieder das Gleiche fest, inflammación, gibt mir vier Penicillintabletten, ich solle einige Tage Pause machen und Voltaren draufstreichen. Das kenne ich ja jetzt schon.
Der nächste Taxifahrer spricht Deutsch, er hat zehn Jahre in Frankfurt bei Hochtief gearbeitet. Ich glaube, hier in diesem armen Galicien war schon fast jeder einmal in Deutschland zum Arbeiten. Wir Deutsche genießen einen guten Ruf in Spanien. Nicht nur als Touristen, sondern auch als Gastland. Er bringt mich hoch über die Stadt zur Herberge im alten Kloster San Francisco aus dem 14. Jahrhundert. Die Herberge macht erst um zwölf Uhr auf, ich lasse meinen Rucksack einfach neben der Tür des Museums stehen, das auch im Kloster untergebracht ist. Ihn wird wohl niemand mitnehmen.
Tief unten im Talkessel liegt honigfarben die mächtige Kathedrale, die zweitgrößte Galiciens, umgeben von dem roten Dächergewirr der Altstadt. Über eine elegante, gewaltige Treppenanlage humpele ich hinunter in die Stadt. Unübersehbar ist die Kathedrale, ein frühromanisches Durcheinander von Türmen, Nischen, Portalen, Zinnen, Dächern Kuppeln. Hier bauten wohl Jahrhunderte. In einer Seitenkapelle erlebe ich gleich eine Messe, die ein Priester auf Gallego – in galicischer Sprache - hält. Ich verstehe kein Wort, gehe aber mit den anderen zur Kommunion. Dies ist ein gutes Zeichen dafür, daß ich meinen Weg nun mit Freuden beenden kann. Die Kapelle ist über und über mit gold bemaltem Schnitzwerk überladen. Vier riesige Engel, Herolden gleich, tragen den Baldachin. Sie sehen eher aus wie derbe Landsknechte mit Flügeln. Christus hängt am Kreuz mit langen schwarzen Haaren wie ein Hippie, mit Stirnbinde und rotem, gold bestickten Tuch um die Lenden.
Um den Altar ist ein Umgang mit riesigen, geschnitzten, hölzernen Tafeln: Christi Geißelung, Kreuzabnahme und Auferstehung. Am Eingang zur Kathedrale gibt es einen Pórtico del Paraíso – ein Paradiesportal – wie die Puerta de la Gloria in Santiago, mit den zwölf Aposteln und den vierundzwanzig Ältesten der Apokalypse, die im romanischen Rundbogen ihre mittelalterlichen Zupf- und Leierinstrumente spielen. Am Mittelpfeiler steht eine Statue mit Muschel auf dem Sockel, einem Schwert und einem Buch. Ist das mein Jakob? Die Figuren sind alle bemalt. In zwei Nischen in der Kirche liegen diesmal keine Ritter mit Hund und Schwert, sondern friedliche Bischöfe.
Als ich die Kirche verlassen will, ist mein Wanderstock weg, den ich innen neben der Tür abgestellt habe, der Bettler vor der Tür auch. Ich frage den Küster, er hat nichts gesehen und gefunden. Jetzt dringt das Böse auch schon in die Kirche ein!
Dafür finde ich aber am Ende des Kirchplatzes unter den schattigen Arkaden in den alten Kaufmannshäusern die Bar Bacelo, mit Glas und Edelstahl elegant eingerichtet in den gelben Sandsteinmauern des alten Kontors. Holztischchen sind draußen aufgestellt, im Brunnen steht eine gewaltige nachgebaute römische Triumphsäule, gegenüber schlafen die weißen Häuser hinter ihren grünen Fensterläden. Es ist Mittag, eine schläfrige Stille macht sich breit, die Türen klappen zu. Siesta.
Leider lagern hinter dem Brunnen aber auch andere Gestalten, die es zu diesem romantischen Plätzchen gezogen hat. Langhaarige, heruntergekommene Burschen in schmutziger Kleidung, mit Rotweinflaschen und Zigaretten und einem dröhnenden Kassettenrecorder. Ab und an kommt einer zu uns herübergeschlurft und macht uns um eine Zigarette an. Der Bettler von der Kirche ist auch dabei. Da ist wohl mein Wanderstock geblieben. Ich rede mit dem Kellner über
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