Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
diese unerfreulichen Gestalten neben seinem Edellokal.
Er klagt mir sein Leid, daß sie seine Gäste belästigen und vertreiben, aber er könne nichts unternehmen, die Polizei schreite nicht ein, wenn sie nicht gegen Gesetze verstießen, und das Sitzen auf Treppenstufen um einen Brunnen herum in ungepflegter Kleidung sei auch in Spanien nicht verboten. Und ruhestörender Lärm ist in Spanien etwas anderes als bei uns. Das ist die mediterrane Gelassenheit und Großzügigkeit. Ich muß es akzeptieren und mich darein fügen. Vielleicht war ich auch wieder zu lange in der Eisamkeit. Ich muß den Umgang mit den Menschen erst wieder lernen.
Ich esse einen köstlichen Queso del País mit Honig und einen Teller Jamón Ibérico mit krustigem Weißbrot und trinke dazu einen kühlen Ribeiro. Die Kultur hat mich wieder. Fast vergesse ich meinen Fuß. Außer mir sitzen noch einige gut gekleidete Geschäftsleute mit ihren schicken Sekretärinnen oder Freundinnen an den Nachbartischen, Ourense ist kein Touristenort, hier bin ich wieder Fremder unter Spaniern.
Ohne Stock schleppe ich mich mühsam die steile Treppe hinauf in meine Herberge, die inzwischen geöffnet ist, mein Rucksack steht noch da, wo ich ihn gelassen habe neben dem Museum – hier gibt es keine Dunkelmänner, die Pilgerrucksäcke gebrauchen können. Der Herbergsvater begrüßt mich freudig, bedauert meine Schmerzen, nein, einen Stock habe er nicht. Ich ruhe erstmal zwei Stündchen hinter den kühlen Mauern meines Klosters, dann entdecke ich, daß die Finnen auf dem Bett mir gegenüber ihre Sachen abgelegt haben, auch zwei Wanderstöcke hängen an der Wand. Ich leihe mir einen aus, schreibe einen Zettel auf Englisch und lege ihn auf das Bett.
Jetzt geht es wieder besser, ohne Stock bin ich nicht mehr in der Lage, vom Bett auf die Toilette zu gehen. Ich muß mich immer mit den Händen abstützen und festhalten. Wie quält mich das Böse! An der Kathedrale treffe ich eine ältere Frau mit Stock und frage sie, wo ich wohl einen Wanderstab kaufen könne. Sie zeigt mir einen Laden in einer Seitengasse, den ich so nie gefunden hätte, die Besitzerin hat neben Regenschirmen, Spazierstöcken und Stützstöcken für alte Damen auch noch einen einzigen Teleskopstock, golden mit schwarz, ein schickes Design. Der gefällt mir zwar nicht, aber ich habe keine andere Wahl, ich hätte jeden genommen in meiner Not. Die Besitzerin plaudert noch nett mit mir über Santiago und den Camino, die Leute hier sind alle sehr nett und freundlich, nicht so „Kotzbrocken“ wie in Kastilien. Ich werde morgen noch zu einem privaten Arzt gehen, wenn die Schmerzen nicht nachlassen. Die vier Tabletten von gestern aus dem Krankenhaus nutzen nichts. Glücklich über meinen „goldenen“ Stock, der mir das Gehen wieder erträglich macht, bummele ich dann noch durch die später am Nachmittag geschäftiger werdende Stadt mit ihren eleganten mit poliertem Granit gepflasteren Einkaufsstraßen und chromblitzenden Geschäften.
Später entdecke ich einen schattigen Park mit Caféterrassen, wo ich die Mütter mit ihren kleinen Kindern treffe. Ich bestelle mir einen dicken Eisbecher mit Erdbeeren und beobachte neugierig das geschäftige Treiben auf den Verkehrsstraßen. Auf einem großen digitalen Thermometer an einer Bank auf der Ecke lese ich die Temperaturanzeige, die – ich kann es kaum fassen – alle Viertelstunde hochklettert von 35 Grad auf 36 Grad und erst bei 37 Grad stehen bleibt. Es ist fünf Uhr nachmitags. Heute ist Ourense der heißeste Ort Spaniens. Es gibt wieder Palmen, die Menschen sind freundlich und liebenswürdig. Es geht wieder aufwärts nach dem Tiefpunkt gestern. Es tut gut, so viele Autos, Menschen und Busse zu sehen nach den „toten“ Dörfern der letzten Tage, die heiße Luft zu spüren, den warmen Wind, der die Blätter der Platanen streichelt. Aus den nebelfeuchten Wäldern bin ich zurückgekehrt in die Welt des Südens, die ich so über alles liebe.
Am Abend verliere ich mich wieder in die Altstadt mit ihren engen, schmalen Gäßchen und vielen kleinen Kneipen. Ourense ist Universitätsstadt, so ähnlich wie Santiago, aber ohne Touristen. Ich menge mich unter die lebhaften jungen Leute, bin mal wieder der Älteste, mit meinem Stock und meinem Hinkefuß sowieso, aber ich tauche in die lebendige, flirtende, schwitzende Menge ein und sie nimmt mich auf. So wie letztes Jahr in Oviedo, da war es genau so auf der Plaza del Pescado. Wenn ich auch ein Fremder bleibe, so bin ich
Weitere Kostenlose Bücher