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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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die Ausnahme. Mit den meisten anderen ostdeutschen Kollegen verstand Lenz sich gut. Weshalb er es vermied, in Gegenwart von Publikum mit ihnen über politische Fragen zu diskutieren. Er hätte gegenüber seinen Kollegen, die ja nicht so reden durften, wie sie vielleicht gewollt hätten, einen zu leichten Stand gehabt.
    Jahre später, nach dem Ableben der DDR, bedankte sich ein Kollege bei ihm für diese Haltung. »Was meinste, was ich vor unserer gemeinsamen Abendveranstaltung für ’nen Bammel hatte?«, gestand er. »Dachte mir, wenn das Publikum politisch wird, was soll ich auf all die Anwürfe antworten? Die hätten uns doch gegeneinander ausgespielt. Und dann hättest du, als ›Opfer des Systems‹, strahlend im Licht gestanden, mit ’nem Glorienschein ums Haupt, und ich, ich wäre der böse Onkel aus’m Osten gewesen.«
    Seine Furcht war nicht unbegründet, an jenem Abend war das Publikum politisch geworden, Lenz jedoch hatte ihnen das erhoffte Schauspiel nicht bieten wollen. Sein Kollege, ein fröhlicher, aufgeschlossener Brandenburger, stand ohnehin auf verlorenem Posten. Wenn schon der staatstragende Gotthard Praske nicht der Genosse Staatsratsvorsitzende war, jener Kollege mit dem humorvollen Gemüt war es ganz bestimmt nicht.
    Die interessanteste Begegnung aber hatte Lenz, als er eine Woche lang mit Peter Braun zusammen war, einem auch nicht mehr ganz jungen Kollegen, an dem vor allem sein dichter, buschiger, rotgrauer Vollbart auffiel. Zu seinem runden, durch den Bart noch breiter wirkenden Gesicht gehörten eine viel zu kleine, genauso runde Nase und hellblaue, oft lustig zwinkernde Augen hinter der randlosen, nicht entspiegelten Brille. Sie waren im selben Hotel untergebracht, und Lenz hatte sich schon lange zuvor auf diese Begegnung gefreut, hatte er diesen Autor als Kind doch nicht nur gelesen, sondern geliebt. Und auch Silke hatte sich als Kind in eines der Bücher Brauns verliebt. Als ihre Eltern mit Micha und ihr jene Flucht antraten, von der sie nichts ahnte, war dieses Buch die einzige Lektüre, die sie mitnahm, sorgsam verstaut im Reisegepäck. Sie las es öfter und die ganze Kinderheim-Zeit über lag es in ihrem Schrank. Als sie dann endlich zu ihren Eltern in den Westen übersiedeln durfte, nahm sie es mit, und noch jetzt, im Bücherregal der jungen Erwachsenen, beanspruchte es einen Ehrenplatz.
    Auch Peter Braun – von Lenz gern Pater Brown genannt – hatte seine Frau mitbringen dürfen. Doch Gerda Braun war bereits Rentnerin, und Leute, die dem Staat keinen Nutzen brachten, sondern nur Kosten verursachten, durften reisen. Das war allgemein bekannt.
    Abend für Abend aßen sie mit viel Bier hinuntergespülte Matjesheringe, die im Osten nicht zu bekommen waren, und unterhielten sich bis spät in die Nacht. Und Braun, von den beiden Lenz’schen Liebesbeweisen überrascht und erfreut, war ehrlich. Er sei mit seiner Frau in Bremen gewesen, sagte er gleich am ersten Abend, sie seien lange durch die Straßen geschlendert, und deshalb stehe für ihn fest: »Wenn unsere Leute dieses Warenangebot sehen, nee, dann will so schnell keiner zurück in unsere schöne, lichte, sozialistische Zukunftswelt. Aus seiner Sicht wohl doch sehr sinnvoll, dass unser Staat keine wirkliche Reisefreiheit zulässt.«
    Lenz merkte bald, Braun war keiner, mit dem man vorsichtig umgehen musste. Und so gestand er ihm noch an diesem ersten gemeinsamen Abend, dass er nun, als Kollege, mit einem von Brauns frühen Büchern, das im geteilten Berlin spielte, große Probleme habe.
    »Weißt du, deine negative Hauptfigur, die hätte ich sein können. Was der getan hat, das habe ich getan – westliche Comics gelesen, westliche Filme gesehen. Auf dem Weg zum Verbrecher war ich deshalb aber noch lange nicht. Und einen wie deinen positiven Helden, diesen Jungen Pionier aus der Retorte, den hätte ich als Streber und Langweiler abgetan. Nie im Leben hätte mich so einer zum ›Guten‹ bekehrt.«
    Braun schmunzelte nur, seine Äuglein oder die Brillengläser blitzten. »Das sehe ich heute nicht viel anders als du. Damals aber war ’ne andere Zeit. Es war Kalter Krieg – und im Westen machte man genau da weiter, wo man 1933 aufgehört hatte. So was konnte mir als jungem Kriegsheimkehrer nicht gefallen. Also bezog ich Stellung für die, die was Neues wagen wollten.«
    Einem wie Peter Braun konnte Lenz auch erzählen, dass Micha erst vor Kurzem mit seiner Klasse in Dresden war. »Und weißt du, was er dort getan hat? Eure

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