Auf der Sonnenseite - Roman
Bemühen um die bundesdeutsche Kanzlerschaft nicht scheute, auch noch die rechtesten Wählergruppen für sich zu begeistern, war ihr gehörig gegen den Strich gegangen. Sie wollte mithelfen, seine Kanzlerschaft zu verhindern. Was dann ja auch gelang. Doch wie reagierte die Frankfurter Bank, bei der sie beschäftigt war? Man machte ihr wegen dieser Plakette keine Vorhaltungen und sie musste auch keinerlei berufliche Nachteile befürchten, doch bat man sie, die Plakette nicht während der Arbeitszeit zu tragen. Weil das innerhalb des Hauses zu Diskussionen führen könnte, die den Arbeitsfrieden gefährdeten.
Lenz erzählte davon und zuckte die Achseln. »Schmähschriften gegen Strauß, die hässlichsten Karikaturen, Beschimpfungen – alles kein Problem, fällt alles unter Presse- und Meinungsfreiheit. Aber bitte nicht den Arbeitsfrieden stören! So weit geht die Demokratie denn doch nicht.«
Am letzten Abend wurde Peter Braun sehr deutlich. Vielleicht hatte er ein Glas zu viel getrunken, vielleicht hatte Lenz inzwischen sein völliges Vertrauen gewonnen.
»Dieses bombastische Geschwätz auf unseren Parteitagen«, schnaubte er. »Wir lieben unsere Republik! Soll bedeuten: Wir lieben unsere Partei- und Staatsführung, lieben unsere autoritären, engstirnigen Zwangsbeglücker, also Leute, die nur noch Ausrufe-, aber kein einziges Fragezeichen mehr setzen. Kannste dir was Abstruseres vorstellen?«
Er wischte mit der Hand quer über den Tisch. »All unsere schönen sozialistischen Prinzipien – Papier! Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit – ein Grand Canyon! Diejenigen, in die du mal dein Vertrauen und all deine Hoffnungen gesetzt hattest, die buttern dich einfach unter, wenn du nicht parierst. Aber wie hat schon der olle Fichte gesagt? ›Das Element aller Gewissheit ist der Glaube!‹ Und so glauben wir denn stur weiter, was wir uns zuvor selbst in die Tasche gelogen haben.«
Er fegte einen letzten Krümel fort. »Aber so ist das eben: Wo die Utopie zur Legitimationslüge verkommt, muss man wohl ’n bisschen Charakter opfern, will man nicht eines Tages zur ›Klärung eines Sachverhaltes‹ in ein vergittertes Haus geführt werden.«
Worte, die Lenz veranlassten, sich mal vorsichtig umzublicken in dem Restaurant, in dem sie gegessen hatten und noch immer saßen. In Brauns Interesse. Der Zufall konnte ein Teufel sein, vielleicht sogar ein von der Stasi honorierter.
Braun kümmerte Lenz’ Sorge nicht. Seine Augen oder die Brillengläser blitzten. »Du wunderst dich über meine Offenheit? Musste nich! Der treueste Diener einer Sache ist noch immer der, der nichts schönredet … Und sind unsere Parteioberen etwa die alleinigen Besitzer der Wahrheit, wenn es denn eine allgemein gültige Wahrheit überhaupt gibt? Mein und dein Job aber ist, sie zu suchen, diese vermaledeite, vielleicht ja doch vorhandene Wahrheit, die sich so gern hinter Phrasen und Floskeln versteckt. Und so suche ich denn und suche – selbst beim Bier!«
Wieder blickte Lenz sich um. Braun war noch lauter geworden.
Er bemerkte es und lachte dröhnend. »Keene Sorge, Manne! Was soll so ’nem alten Knacker wie mir denn noch groß passieren? Was jetzt hier aufschreit, ist das Problem, das mich quält … Weißte, eine Institution, der man in eigener Leibhaftigkeit angehört, weil man mal an sie geglaubt hat, hin und wieder zu kritisieren, dazu gehört Mut. Sie in ihrer Gesamtheit infrage zu stellen, aber Mitglied bleiben zu wollen, tja, mein Lieber, dazu gehört Heldenmut! Bin aber leider kein Held, bin nur einer, der gern Geschichten erzählt … Womit wir beim nächsten Dilemma wären, denn wie heißt es so schön: ›Aus der großen Welt schöpft der Dichter seinen Stoff, in der Stille muss er ihn verarbeiten.‹ – Stille? Davon haben wir mehr als genug! Aber wo, verdammt noch mal, bleibt die große, lebendige Welt, die uns zu Neuem, vielleicht sogar Großem anregt? Wie soll so ’n armer Schreiberling denn Bemerkenswertes fabrizieren, wenn die Kluft zwischen ihm und der Welt, in der er lebt, immer größer wird und er darüber schweigen muss?«
Auch Gerda Braun schien sich keine Sorgen um eventuelle Stasi-Ohren zu machen. »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen, so heißt es bei uns. Nur sind eben leider manche Fähigkeiten und Bedürfnisse von so ganz anderer Art als die offiziell erwünschten. Doch sagt das mal einer, werden ihm gleich ›schädliche Tendenzen‹ unterstellt.« Nachdenklich blickte sie
Weitere Kostenlose Bücher