Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
»Ich liebe das Normale, und so mache ich es auch im Bett.« Auch das Küssen des Busens hielt er für abnormal: »Für mich sind diese Sachen pervers und Schweinkram.«
Mit solchen und ähnlichen Antworten verging die nächste Zeit, und allmählich ahnte ich, dass sich die Vernehmung zu einem Verhörmarathon auswachsen würde. Mitten im Gespräch bat Walter Krabonke dann um einen Zettel. Darauf notierte er untereinander die Tage vom 29. bis zum 31. Dezember. Nach einer Weile malte er neben das mittlere Datum eine Figur, eine Art Strichmännchen. Ich sah mein Gegenüber fragend an. Er erklärte: »Ist kein normales Strichmännchen, ist ein besonderes. Ich brauch das jetzt!«
Ich wurde hellhörig. Warum brauchte er das jetzt? Fühlte er sich in die Enge getrieben? Hatten unsere penetranten Fragen ihm ins Bewusstsein gedrängt, was er tagelang verdrängt hatte? Sah er womöglich die von ihm getötete und verstümmelte Agnes Brendel vor seinem inneren Auge?
Statt darüber zu spekulieren, entschloss ich mich, erneut die Taktik zu ändern. Ich ließ die wörtliche Protokollierung der Vernehmung unterbrechen und rutschte mit meinem Stuhl ganz nah an seinen heran. Damit signalisierte ich ihm, dass er ab jetzt einem Zwiegespräch ausgesetzt sein würde, dass ich seine bisherigen Erklärungen für Ausreden oder Halbwahrheiten hielt.
Diese Taktik habe ich immer dann eingesetzt, wenn ich merkte, dass der Verdächtige nicht die Wahrheit sagt und gleichzeitig großer Druck auf ihm lastet. Denn diese Kombination ist typisch für Täter, die eigentlich ein Geständnis ablegen möchten, sich aber noch nicht dazu durchringen können. Eine solche Vorgehensweise wird in den Gerichtsverhandlungen häufig von Rechtsanwälten angeprangert: Den zuständigen Ermittlern wird vorgeworfen, den Verdächtigen außerhalb des Protokolls einschüchtern oder mit falschen Versprechungen oder sonstigen Täuschungen zu einem Geständnis bringen zu wollen. Diese Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Daher war es mir immer wichtig, dass diese Pausen im Vernehmungsprotokoll erwähnt wurden, das Gespräch weiter korrekt verlief und der Inhalt in einem separaten Vermerk notiert wurde.
Ich sagte Walter Krabonke ins Gesicht, dass ich ihm kein Wort glaubte. Dann schaute ich ihn lange an. Walter Krabonke wurde nervös, wich meinem Blick aus und schaute aus dem Fenster, als ich ihm vorhielt, nie im Leben hätten er und Agnes sich auf der Straße getrennt. Agnes Brendel hätte viel zu gerne getrunken, als dass man sie mit Wein in die Flucht schlagen konnte. Und da ich inzwischen wüsste, dass er stets auf der Suche nach sexuellen Abenteuern war, wüsste ich auch, dass er ihr Nein niemals akzeptiert hätte. Schließlich wäre der Sex doch abgemachte Sache gewesen. Und da wollte er mir einreden, er hätte nicht mal versucht, Agnes zu überreden?
Als ich fertig war, wurde Walter Krabonke nachdenklich. Er stand auf, sah schweigend aus dem Fenster. Setzte sich wieder. Sagte immer noch kein Wort, sondern zeigte mit der Hand fahrig auf das Bild mit den Sonnenblumen. Lächelte. Und dann gab er zu, gemeinsam mit Agnes das Treppenhaus betreten zu haben. Allerdings habe sie sich dort sofort von ihm getrennt und sei gegangen. Nein, in seiner Wohnung sei sie nicht gewesen. Das könne er beschwören.
War dieses Eingeständnis endlich der von mir erhoffte Durchbruch? Vermutlich ja, denn warum hatte sich Walter Krabonke so lange gewehrt, dieses Detail zuzugeben, wo er doch sonst bereitwillig alle Fragen beantwortete? Außerdem war ich mir inzwischen sicher, dass Krabonke etwas mit dem Mord zu tun hatte.
Wenige Minuten zuvor hatte mich ein Kollege nach draußen gebeten, um mich über die Resultate der erkennungsdienstlichen Untersuchungen zu informieren. Nicht nur in der Wohnung, sondern auch im Keller von Walter Krabonke hatten die Spurensucher an verschiedenen Stellen größere eingetrocknete und nur oberflächlich gereinigte Blutflecke gefunden. Ich hatte prophylaktisch darum gebeten, gesammelte Proben umgehend mit einem Hubschrauber in das rechtsmedizinische Institut zu bringen, das bereits die Todeszeitbestimmung durchgeführt und auch den Mageninhalt untersucht hatte. Jetzt hieß es für mich, das Untersuchungsergebnis abzuwarten.
Ich spielte auf Zeit und ließ Walter Krabonke seine neue Version der Geschichte ausbreiten. Die Schreibkraft notierte alle seine Erklärungen, obwohl sie nicht weiter von Belang waren.
Schließlich war es so weit. Das Telefon
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