Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
mit Agnes Brendel erzählen, ohne sich unter Druck gesetzt zu fühlen.
Wir saßen zu viert in dem Vernehmungszimmer: Walter Krabonke, eine Schreibkraft, ein Kollege und ich. Eine Zwangsgemeinschaft und abgeschlossen von der Außenwelt. Zumindest sah es für Walter Krabonke danach aus, denn er konnte nicht wissen, dass im Hintergrund ein speziell geschulter Ermittlungsapparat für uns arbeitete, der half, steinchenweise ein Mosaik der Tat zusammenzusetzen: Erkennungsdienst, Rechtsmedizin, andere Kollegen der Mordkommission. Ein Rechtsanwalt hätte ihn sehr wahrscheinlich darüber aufgeklärt, doch unser Verdächtiger wollte keinen sprechen: »Dafür sehe ich keine Veranlassung. Ich bin hier ja freiwillig bei der Polizei. Ich habe mir nichts vorzuwerfen!«
Walter Krabonke zeigte sich aufgeschlossen und zugewandt. Er antwortete bereitwillig auf unsere Fragen und legte kein sichtbares Misstrauen an den Tag. Im Gegenteil wirkte er regelrecht zutraulich und machte insgesamt einen sehr unreifen, jungenhaften und dabei sehr weichen Eindruck. Spontan duzte er meinen Kollegen und mich und war auch sofort damit einverstanden, dass wir uns mit Vornamen ansprachen. Seine Schilderungen waren detailliert und weitschweifig. Ohne jede Scheu machte er Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen, schilderte seinen Tagesablauf nach der Begegnung mit Agnes Brendel und wich auch nicht aus, als wir nach seinem letzten sexuellen Verkehr mit der Frau fragten, von der uns der Imbissbesitzer erzählt hatte. Trotzdem verliefen die ersten Stunden der Befragung zäh und brachten uns keinen Schritt weiter. Denn wann immer die Sprache auf Agnes Brendel kam, blieb Walter Krabonke stereotyp und fast wortwörtlich bei seiner Aussage, sie und er hätten sich auf der Straße vor seinem Haus getrennt. Ich musste schmunzeln, als Walter Krabonke in Mundart verfiel und den ostpreußischen Begriff für Mädchen benutzte: »Das Marjellchen hat mir gefallen, und ich wollte sie auch bumsen. Doch wollte sie nicht mit in meine Wohnung kommen. Sie verlangte auf einmal Bier und Korn. Ich hatte aber nur Wein.« Walter Krabonke räumte allerdings freimütig ein, dass er wegen der Abfuhr enttäuscht gewesen sei. Schließlich habe er ihr ja auch ein paar Bier spendiert. Letztlich habe er sich aber in die Situation gefügt. Denn: »Was hätte ich denn machen sollen, damit die sich das noch mal überlegt? Ich konnte doch nix machen. Gab ja nix. Aber so wichtig war mir das ja nun auch wieder nicht.«
Immer wieder leierte Walter Krabonke die gleichen, wie auswendig gelernten Antworten herunter. Und mit der Zeit wurde seine unterschwellige Anspannung deutlich spürbar. Er rauchte eine Zigarette nach der anderen, schüttete Kaffee und Cola in sich hinein. Ich musste umdenken. Neue kleine Vernehmungsziele abstecken und Schritt für Schritt vorgehen. Als Erstes wollte ich Walter Krabonke dazu bringen, zuzugeben, dass Agnes Brendel ihn ins Haus begleitet hatte. Ein solches Eingeständnis sah ich als ersten Schritt zu einem späteren Geständnis, weil dadurch die Wahrscheinlichkeit wuchs, dass Agnes Brendel auch mit in seine Wohnung gegangen war. Aber dazu musste ich weiterhin auf Krabonkes Gesprächsbereitschaft hoffen. Musste ihn weiter bei Laune und in Plauderstimmung halten. Für konkrete Anschuldigungen war jetzt noch nicht die Zeit. Das bedeutete: Ich musste Geduld haben.
Ich entschied mich, weiterhin scheinbar unverfängliche Fragen zu stellen, die aber notwendig waren, damit ich schon jetzt theoretische Möglichkeiten ausschließen konnte, wenn in der Wohnung tatsächlich Blut von Agnes Brendel gefunden werden sollte. Ich erfuhr, dass für Krabonkes Wohnung drei Schlüssel existierten. Einen habe er seiner Mutter gegeben, während er zwei selbst verwahre. Verliehen oder verloren habe er in der letzten Zeit keinen. Auch würde außer ihm niemand die Wohnung nutzen. Die Flecken auf dem Fußboden schrieb er weiter der Holzbeize zu. Er schloss sogar ausdrücklich die Möglichkeit aus, dass er sich beim Renovieren verletzt haben und sein Blut auf den Teppich getropft sein könnte. Meine Frage, ob er denn auch in seinem Keller handwerkliche Arbeiten durchführen würde, verneinte er ebenfalls. Dafür sei ausschließlich der Flur in seiner Wohnung vorgesehen, der ja erst zum Schluss renoviert werden solle. Seine sexuellen Präferenzen beschrieb Walter Krabonke mit den Worten, dass er etwas gegen »Mundverkehr« habe. Egal, ob er es bei einer Frau mache oder sie bei ihm.
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