Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
diese Nacht hat er genug getan, und so bleibt der Torso bis zum 1. Januar in seinem Keller liegen, denn zum Transport benötigt Walter Krabonke große Müllsäcke. Diese will er sich bei der Firma besorgen, für die er Silvester als Wachmann im Nachtdienst arbeiten wird. Mit den zwei blauen Müllsäcken fährt Walter Krabonke am Neujahrsmorgen nach dem Dienst früh um sechs Uhr nach Hause. Er legt sich ins Bett und versucht zu schlafen. Doch es gelingt ihm nicht. Er ist unruhig, steht wieder auf, trinkt Weinbrand. Dann geht er in den Keller. Hier steckt er den Torso zunächst in die Müllsäcke und dann in einen großen Koffer. Bei einbrechender Dunkelheit schiebt er den Koffer mit seinem Fahrrad die wenigen hundert Meter bis zur Schule. Dort nimmt er die Leiche aus dem Koffer und legt sie hastig auf der Zufahrt ab. Er kennt die Schule und hat sich diese Stelle sorgfältig überlegt, denn zu dieser Zeit dürfte sich niemand dort aufhalten. Seine Überlegung erweist sich als zutreffend. Niemand beobachtet ihn.
Die Säge und den Koffer wirft er am nächsten Tag von der Kaimauer eines Hafenbeckens in die Weser. Während der folgenden Tage lebt er weiter in Angst und Schrecken. Walter Krabonke weiß nicht, wie er sich verhalten soll, um sich nicht verdächtig zu machen: »Die Kraft der Angst ließ mein Denken verschwinden.«
Als wir gegen 18.30 Uhr nach über zwölf Stunden die Vernehmung für diesen Tag beendeten, wirkte Walter Krabonke immer noch erleichtert – eine Reaktion, die ich später bei zahlreichen Tätern erlebt habe, die sich wie Krabonke nach einem heftigen inneren Kampf und stundenlangem Leugnen zu einem Geständnis durchrangen.
Auch in den nächsten Tagen war Walter Krabonke kooperativ und zeigte die Orte, an denen er die Kleidung von Agnes Brendel und ihre Körperteile weggeworfen hatte. Doch wir fanden nichts. Auch mit einer Tatrekonstruktion in seiner Wohnung war er einverstanden. An einer Schaufensterpuppe demonstrierte er uns, wie er Agnes Brendel an den Hals fasste und sie vergewaltigte. Mit einem Gummimesser deutete er dann an, wie er auf die Frau einstach und sie anschließend verstümmelte. Allerdings weigerte er sich, uns vorzuführen, wie er Kopf und Extremitäten entfernt hatte. Stattdessen sagte er nur immer wieder, wie grauenhaft seine Tat gewesen sei.
Die Umstände, die zum Tod von Agnes Brendel geführt hatten, waren nun geklärt, aber es blieb eine zentrale Unstimmigkeit: Walter Krabonke hatte gestanden, Agnes Brendel am späten Abend des 29. Dezember getötet zu haben. Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen musste sie jedoch noch am Spätnachmittag des 1. Januar gelebt haben. In den folgenden Tagen vernahm ich deshalb noch einmal alle Zeugen. Doch niemand korrigierte seine Aussage.
Die Auflösung brachte ein Besuch beim Rechtsmediziner: Ich war die ganze Zeit über von einer falschen Todeszeit ausgegangen. In meiner Auflistung der Daten hatte ich die einzelnen Werte hinter Spiegelstriche geschrieben. Und der Rechtsmediziner hatte die Striche als Minuszeichen interpretiert und war damit für die Berechnung des Todeszeitpunkts von falschen Werten ausgegangen. Da er nicht aus Bremen kam, war er mit den dortigen Wetterverhältnissen nicht vertraut gewesen. Der von ihm festgelegte Sterbezeitpunkt hatte natürlich die weiteren Ermittlungen und Alibiüberprüfungen bestimmt. Diese Zeit musste jetzt revidiert werden. Agnes Brendel war tatsächlich früher getötet worden. Mindestens dreißig Stunden und länger vor dem Fund ihres Torsos. Einige der Zeugen mussten sich geirrt haben. Auf jeden Fall der Nachbar, der angeblich mit ihr Silvester gefeiert hatte, und die Zeugen, die Agnes Brendel noch Neujahr bis 17 Uhr gesehen haben wollten. Vieles sprach nun dafür, dass es tatsächlich so gewesen war, wie Walter Krabonke gesagt hatte.
Für die Gerichtsverhandlung, in der es nach dem Geständnis neben der weiteren Sachaufklärung um die strafrechtliche Bewertung und das Strafmaß ging, wurde ein psychiatrisches Gutachten angefertigt, um Walter Krabonkes Schuldfähigkeit zu klären.
Zu diesem Zwecke wurde Walter Krabonke von einem Psychiater mehrere Tage exploriert, das heißt, er wurde umfangreichen psychologischen Untersuchungen unterzogen. Dem Gutachten nach stammte Walter Krabonke aus einer zwar äußerlich intakten, aber in ihrer Binnenstruktur auffälligen Familie. Zur Mutter habe er eine sehr enge Beziehung, von der er sich innerlich nie habe lösen können. Das erkläre seine
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