Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Zeit später beginnt er mit einer stationären Alkoholtherapie, fängt aber bald wieder mit dem Trinken an. Kurz vor Weihnachten verlässt Herbert Ritter die Einrichtung, und wieder einmal hat er kein Geld.
Wenige Tage später dann der dritte Mord. Dabei ändert der Täter allerdings seinen Modus Operandi: Zu Fuß sucht er eine Prostituierte in der Nähe seiner Wohnung auf und nimmt keine Waffe mit. Er geht deutlich laxer, spontaner, chaotischer vor. Dies ist insofern bemerkenswert, als er noch bei den abgebrochenen Mordversuchen sein Vorgehen zu optimieren versucht hatte wie mit der abgeklebten Axt. Als er auch sein drittes Opfer – wiederum nach heftiger Gegenwehr – überwältigt und die Wohnung durchsucht hat, widmet er der Umsetzung seiner Phantasien deutlich mehr Zeit.
Er »schneidet an der Kehle und den Brustwarzen herum«, sticht mit dem Messer in die Vagina. »Nach dieser Tat bin ich ruhiger gewesen als bei den anderen Morden, auch wenn ich wohl am Anfang sehr rumgewütet habe. Und es ist mir danach auch besser ergangen. Nur was ich eigentlich wollte, habe ich auch dieses Mal nicht umsetzen können: fesseln und quälen.«
Nach einer kurzen Pause fügte er scheinbar zusammenhangslos hinzu: »Sie sah so süß aus, als sie tot dalag mit ihrer halb herausgestreckten Zunge.«
Sein dritter und letzter Mord lag über zwei Jahrzehnte zurück. Ich dachte an die Vernehmung und wie kaltblütig ich die Morde und ihren Täter empfunden hatte, und fragte Herbert Ritter, wie intensiv er sich noch an seine Opfer erinnerte. Die Gesichter der Frauen sind für ihn verblasst. Kein Wunder, denn zu keiner von ihnen hatte er eine nähere Beziehung. Ihre Auswahl erfolgte rein zufällig nach einer Telefonnummer in einem Anzeigenblatt. Für ihn waren die Frauen lediglich Mittel zum Zweck und hätten durch jede andere Prostituierte ersetzt werden können. Vollkommen anders verhielt es sich jedoch bei seinen Erinnerungen an die umgesetzten Phantasien und die Suche nach Geld: Die Verstümmelungen und die genaue Lage der Leichen sind ihm bis ins Detail präsent, ebenso die Grundrisse und die Möblierung der Wohnungen.
»Es sind keine schemenhaften, sondern direkte Bilder.«
Sind diese Bilder immer noch Vorlage bei der Selbstbefriedigung?
»Sie kommen immer noch wieder vor, das schon. Aber nicht in dieser krassen Form.«
Und wie fühlen sich diese Vorstellungen an?
»Ich empfinde sie als anregend, als schön und erwische mich dann selbst dabei, was ich wieder für Gedanken habe, und erschrecke mich dann auch dabei. Also, die sind eigentlich etwas, wo ich gar nicht so gerne hingucke und die ich verdrängen möchte.«
Wie groß ist die Angst, erneut zu morden, oder ist die Gefahr vorüber?
»Ganz schwere Frage. Um ganz ehrlich zu sein, die Gefahr wäre wohl nicht vorbei. Also, ich könnte mir bei einem Leben in Freiheit vorstellen, dass wieder irgendwas schiefgeht, ich nicht zurechtkomme und ich wieder in einen Phantasie-Strudel gerate. Und wenn ich dann keine Hilfe hätte, dann könnte es wieder dazu kommen.«
Wie viel Prozent der Phantasien wurden bei den Morden befriedigt?
»Unter 50 Prozent. Weit unter 50 Prozent. Zwischen 10 und 20 Prozent denke ich eher. Mehr habe ich gar nicht umgesetzt, obwohl ich alle erdenklichen Praktiken ausprobieren wollte.«
Ich bat Herbert Ritter, für jeden Mord ein sogenanntes Phantasiediagramm zu zeichnen: ein Koordinatensystem mit der x-Achse für den zeitlichen Ablauf und der y-Achse für die prozentuale Phantasieumsetzung. Beim nächsten Gespräch überreichte mir Herbert Ritter seine Diagramme auf leuchtend gelbem Papier. Er hatte Entscheidungen und Einzelheiten der Tat durch Symbole chronologisch geordnet und die eingezeichneten Punkte jeweils stichwortartig kommentiert. Wie sehr die einzelnen Tatsequenzen sich in Herbert Ritters Bewusstsein manifestiert hatten, zeigte seine grafische Umsetzung der ersten Tat: Um zu prüfen, ob Ramona Braun noch lebte, hatte er ihr in ein Auge gestochen – ein Detail, das er bisher noch nie erwähnt hatte und das ich auch noch nicht kannte.
Die Zeichnungen bestätigten seine bisherigen Angaben: Bei allen Taten war die Kontaktaufnahme mit den Opfern rein pragmatisch gewesen und hatte aus Sicht des Täters nichts mit Phantasieumsetzungen zu tun. Hier liegen die Punkte auf der y-Achse nahe der x-Achse, also weit unten. Anders bei den Tötungen: Bei dem ersten Mord bleiben alle Phantasiegipfel im unteren Bereich der Skala. Die Stiche in Ramona Brauns
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