Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Herz waren für ihn am erregendsten und liegen im Diagramm ungefähr bei dreißig Prozent seines Maximums. Das Zerschneiden ihres BH beschreibt er mit: »Zeichen setzen/Macht«. Es stellt die zweithöchste Stufe dar und erreicht fast einen gleich hohen Wert.
Ähnlich verhält es sich mit der zweiten Tat. Alle mit der Überwältigung und Tötung des Opfers verbundenen Handlungen liegen im unteren Teil der Skala. Die Schläge in das Gesicht von Tanja Rose erreichen als Ausdruck von Macht einen Wert von nahezu fünfzig Prozent, die Penetrationen mit den beiden Fingern und dem Telefonhörer liegen zwischen siebzig und achtzig Prozent. Herbert Ritter scheint dabei seinen Phantasien sehr nahe gekommen zu sein.
Nach der Tötung von Violetta Winter und der Durchsuchung ihrer Wohnung begann Herbert Ritter sein Opfer zu »quälen«. Alles, was er jetzt tat, liegt in der Grafik bei über fünfzig Prozent. Dabei erreichen die Stiche in den Unterleib fast das Maximum seiner Gewaltphantasien.
Nachdem ich die Phantasiediagramme ausführlich betrachtet hatte, wollte ich von Herbert Ritter vor allem eins wissen: Wie sahen die nicht befriedigten Szenarien aus?
»Ich wollte den Hals aufschneiden und den Schlund als Vagina benutzen. Im Hals ist ja alles drin, was zur Sprache gehört. Das wollte ich zerstören, denn dann kann mir keiner mehr sagen, was ich zu machen habe. Und mit der Vagina hat die Frau den Mann im Griff. Sie entscheidet: Ich lasse dich ran oder nicht.«
Das erinnerte mich sehr stark an den US-Serienmörder Edmund Bill Kemper. Bereits als Kind wurde der hünenhafte Junge von seiner Mutter in ein Zimmer im Keller verbannt, da sie Angst hatte, er könnte wegen seiner Ungeschicklichkeit seine jüngere Schwester verletzen.
Mit fünfzehn erschoss er seine Großeltern, kam in eine Besserungsanstalt für geisteskranke Täter und wurde 1970, sechs Jahre später, auf Initiative seiner Mutter wieder entlassen. Doch die Probleme zwischen Mutter und Sohn blieben bestehen. Zwei Jahre nach der Entlassung begann Bill Kemper, Anhalterinnen zu vergewaltigen, er erdrosselte und verstümmelte sie. Die Serie endete 1973 mit der Ermordung seiner schlafenden Mutter, die er enthauptete, bevor er ihr den Kehlkopf herausschnitt: weil sie ihn so viele Jahre gegängelt und angeschrien hatte und er ihre Stimme nicht mehr ertragen konnte.
Ich konnte gut nachvollziehen, dass der mit dem Gutachten beauftrage Psychiater bei der Gerichtsverhandlung vermutete, dass auch Herbert Ritters Taten letztlich auf die eigene Mutter gemünzt waren. Ritter wies das von sich, hatte aber auch keine Antwort auf die Frage, weshalb er in seiner Vorstellung ausschließlich alte Frauen quälte. Überhaupt zog er sich bei diesem Thema wieder zurück, nicht aggressiv, aber bestimmt. Vielleicht gilt für ihn ja dasselbe wie für den Serienmörder Jeffrey Dahmer: »Ihr könnt mir alles nehmen: meine Familie, meine Freunde, alles, was ich besitze – nicht aber meine Phantasien.«
Ich merkte, dass mir hier Grenzen gesetzt wurden, und akzeptierte es. Also beendete ich die Interviews mit der abschließenden Frage, wie er sich und seine Taten heute sieht.
»Mir ist seit einiger Zeit bewusst, welche schweren Straftaten ich gemacht habe. Ich bin ein richtiger Mörder. Ein Serienmörder. Ich habe geplant und fremde Menschen getötet. Das möchte ich gerne wegwischen, aber ich muss immer daran denken. Meine Taten sind so schrecklich und durch nichts zu entschuldigen. Ich glaube nicht, dass ich eine gespaltene Persönlichkeit habe. Ich sehe den Mörder und Herbert. Am liebsten möchte ich nur Herbert sein. Ich weiß, dass ich beides nicht trennen kann, und der Sicherheitsaspekt wird verhindern, dass ich jemals in Freiheit leben werde. Aber ich träume davon.«
Ähnlich hatte sich der Serienmörder Peter Kürten vor Gericht in seinem Schlusswort geäußert: »Die von mir begangenen Taten sind nach meiner jetzigen Erkenntnis so scheußlich, dass ich nicht den Versuch machen will, sie in irgendeiner Weise zu entschuldigen.« Eine sehr späte Erkenntnis. In beiden Mordserien.
Zwischen unseren Gesprächen erfuhr Herbert Ritter, dass seine Prognose weiterhin sehr schlecht war. Entsprechend befürchtete er, noch die nächsten zehn, fünfzehn Jahre in der Forensik bleiben und therapiert werden zu müssen, ehe auch nur an erste Lockerungen wie begleitete Spaziergänge auf dem Klinikgelände zu denken ist. Diese Einschätzung ist vermutlich zutreffend.
Und in einem weiteren Punkt
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