Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
hatte Herbert Ritter recht: Als jemand, der aus einem inneren Zwang heraus und nach externen Stresssituationen innerhalb von dreizehn Monaten drei Menschen tötete und dabei auch sexuelle Phantasien zu befriedigen versuchte, ist er in der Tat – nicht nur laut meiner Definition – ein Serienmörder. Das Muster war gültig.
Bei Ankunft Mord
Blutiges Geheimnis im Zugabteil
Seit zehn Jahren berate ich Radio Bremen bei den dort produzierten Tatort -Filmen. Meine Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, die Drehbuchautoren zu unterstützen: dies und das ist unrealistisch, stimmt mit der Wirklichkeit der Polizeiarbeit nicht überein, müsste vielleicht so oder so geändert werden. Zumeist bin ich von der Phantasie der Autoren ehrlich beeindruckt, und es beruhigt mich sehr, dass diese Einbildungskraft sich nicht mit krimineller Energie verbindet. Sonst würden die Drehbuchschreiber der Kriminalpolizei nicht selten monströse Rätsel aufgeben. Nicht immer aber reicht die Vorstellungskraft der Autoren aus, um realistische Rätsel zu erfinden.
Es gab einmal die Idee zu einem Tatort , der vom historischen Fall Barschel inspiriert war. Der zurückgetretene Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Uwe Barschel starb 1987 unter mysteriösen Umständen und wurde von einem Stern -Reporter tot in der Badewanne seines Genfer Hotelzimmmers gefunden. Wie in seinem Fall sollte in dem Tatort offenbleiben, ob es sich dabei um Mord oder Selbstmord gehandelt hatte. Während Uwe Barschel an einer Vergiftung starb, hatte der Drehbuchautor eine tödliche Schussverletzung vorgesehen. Das war insofern eine knifflige Sache, weil es schwieriger war, die Selbstmordtheorie plausibel zu machen. Da die Fernsehkommissare keine Waffe finden durften, musste ein potenzieller Mittäter erfunden werden, der sie vom Tatort entfernt hatte. Ein solcher Komplizen-Suizid war mir aber niemals untergekommen, und ich hatte auch noch nie von einem realen Fall dieser Art gehört.
Trotzdem: Als ich in meiner Funktion als Mordermittler mit dem Fall Tom Howe befasst war, kam es mir wie ein Déjà-vu vor.
Es ist ein nasskalter Herbstmorgen, als im Bremer Hauptbahnhof um 05.45 Uhr der Fernzug aus Stuttgart einfährt. Auf den Bahnsteigen ist um diese frühe Morgenstunde kaum Betrieb, aber an Bord des Zuges befinden sich über zweihundert Reisende. Einer von ihnen ist tot.
Und so begann auch für mich der Tag anders als geplant: kein freies Wochenende, stattdessen klingelte kurz nach 6.30 Uhr das Telefon. Der Kommissar vom Dienst beschränkte sich in seiner morgendlichen Meldung auf das Nötigste: »Ein Toter im Zug. Der Mann hat eine Schussverletzung. Die Waffe fehlt. Das Abteil wurde durchsucht. Alles spricht für Raubmord.«
Wann immer ein Mensch an einer nichtnatürlichen Ursache gestorben ist, stellt sich bei den Ermittlungen als Erstes die Frage, ob ein Verbrechen vorliegt. Kann es nicht auch ein Unfall gewesen sein oder gar eine Selbsttötung? Ich hatte es schon einige Male erlebt, dass nach einem Suizid durch Erschießen die Waffe nicht wie auf einem Präsentierteller direkt neben der Leiche lag, sondern begraben unter dem Körper des Toten. Deshalb muss diese Möglichkeit immer zuerst geprüft werden, bevor »ein großer Bahnhof gefahren« wird, wie es salopp bei uns heißt, wenn Mordkommission und Erkennungsdienst zum Einsatz kommen.
Der Tatort muss beschrieben und vom Erkennungsdienst auf Spuren untersucht und fotografiert werden. Blut, sogenannte Schmauchantragungen , Tatwaffe und Geschossteile sind für forensische , gerichtsverwertbare, Untersuchungen zu sichern, Angehörige des Verstorbenen sind über den Todesfall zu informieren, und Zeugen müssen ermittelt und vernommen werden: Wann hatten sie das Opfer zuletzt gesehen und unter welchen Umständen? Haben sie Veränderungen am Tatort vorgenommen? Vielleicht sogar die Tat beobachtet und den Täter gesehen? Ein Kollege der Mordkommission muss dann den Tatortbefundbericht mit allen Besonderheiten und den Einzelheiten des Tatgeschehens schreiben. Zuletzt wird die Obduktion der Leiche angeregt, an der immer ein Ermittler teilnehmen sollte.
In diesem Fall übernahm ich als Leiter der Mordkommission die beiden letzten Aufgaben, während meine Kollegen sich um die anderen Ermittlungen kümmerten. Diese Arbeitsteilung hat sich in vielen Tötungsdelikten bewährt, die wir gemeinsam in Kommissionen bearbeitet haben. Genauso wie die regelmäßigen Besprechungen, in denen wir die neusten Ermittlungsergebnisse
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